Digitale Arbeitstechniken

Viele Beiträge in diesem Weblog kreisen um die Frage, wie sich die Arbeitsweise einer Historikerin, eines Historikers durch die Digitalisierung in den letzten Jahren verändert hat. Welche Arbeitsschritte sind unverändert geblieben, welche sind dazu gekommen? Was ist obsolet geworden?

Einige Aspekte sind in den letzten Jahren intensiv diskutiert worden, zum Beispiel die neuen Suchmöglichkeiten. Das «Google-Syndrom», wie ich es vor Jahren einmal genannt habe, bezeichnet diese Veränderung beim Suchen nach wissenschaftlichen Informationen: Dank Google findet man eigentlich zu jedem Thema irgendetwas und bei jeder Suche bleibt gleichzeitig das schale Gefühl übrig, dass man wohl noch mehr hätte finden können.

Aber die Suche ist nur ein Teil des historiographischen Arbeitsprozesses. Weniger intensiv diskutiert wurde bisher die Frage nach dem Schreibprozess. Wie verändern die digitalen Medien den Prozess des Schreibens? Was bedeutet es, dass wir Texte heute alleine oder – rein technisch gesehen – ebenso einfach gemeinschaftlich schreiben können? Wie verändert sich das Bild des Autors und wie die Selbstwahrnehmung von Autorschaft? Welchen Traditionslinien folgt die Diskussion des «collaborative writing»? Und wie ändern sich die Konzepte von Kollaborativität im Zeichen der Digitalisierung von Quellen und Literatur?

Einen Teil dieser Fragen soll ein Buch beantworten, dass Martin Gasteiner (Wien) und ich im Herbst bei UTB herausgeben werden. Unter dem Titel «Digitale Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissenschaften» werden wir in diesem Handbuch versuchen, entlang des geisteswissenschaftlichen Arbeitsprozesses Veränderungen und offene Fragen zu benennen und zu diskutieren.

Eine andere, mehr noch auf die Praxis der Geschichtswissenschaften fokussierte Antwort möchte ich mit folgendem Experiment erhalten: Was würde ich anders machen, wenn ich heute diejenigen Bücher schreiben würde, die ich in den letzten Jahren geschrieben habe?

Konkret: Ich habe in den letzten Jahren zwei geschichtswissenschaftliche Monographien veröffentlicht, beide aus dem Themenbereich der östeuropäisch-jüdischen Geschichte, beide entstanden aus akademischen Qualifikationsarbeiten, beide weitegehend geschreiben an der Schwelle zum digitalen Zeitalter. Das erste Buch entstand 1997 und erschien 2001 im Druck. Es behandelte die Anfänge des ungarischen Zionismus in den Jahren 1897 bis 1904 und stützte sich vor allem auf Zeitungsartikel aus der zeitgenössischen ungarischen Presse. In meinem zweiten Buch, das in den Jahren 2001 bis 2005 entstand und 2006 im Druck erschien, beschäftigte ich mich mit der Assimilationsgeschichte des ungarischen Judentums und untersuchte dazu das (veröffentlichte) Tagebuch eines ungarisch-jüdischen Orientalisten namens Ignác Goldziher.

Was mich nun interessiert: Wieweit war damals meine Arbeitsweise geprägt durch das, was wir heute mit «Digitalisierung» bezeichnen? Was wäre anders, wenn ich die beiden Bücher heute schreiben würde? Und was hätte ich vor zum Beispiel dreissig Jahren, als die Generation unserer Väter ihre Dissertationen geschrieben hat, aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht oder anders geschrieben?

Es ist mir klar, dass das nicht mehr als ein Gedankenexperiment sein kann und dass jedes Buch seine je andere Entstehnungsgeschichte hat, für jede Fragestellung andere Archivbestände befragt werden müssen und dass die «Werkstatt des Historikers» (M. Bloch) sich nur schlecht für derartige Längsschnittvergleiche eignet.

Trotzdem werde ich, gleichsam als flankierende Massnahme zum neuen Buch, versuchen, diesen Fragen nachzugehen. Ich werde dazu die Quellen und die Literatur «nachrecherchieren» und ich werde mir darüber Klarheit verschaffen, wieweit ich damals, vor zehn respektive knapp fünf Jahren, digitale Arbeitstechniken bereits angewandt habe.

Und natürlich würde ich mich darüber freuen, wenn mein «Selbstexperiment» Kolleginnen und Kollegen dazu motivieren würde, über den Wandel ihrer eigenen Arbeitspraxen nachzudenken und vielleicht die eine oder andere Beobachtung dazu hier in den Kommentarspalten zu deponieren …

3 Gedanken zu „Digitale Arbeitstechniken“

  1. Die Recherchen für meine Diss. habe ich nur teilweise mit digitalen Mitteln gemacht. Viel habe ich zusammengekriegt auf Mikrofilm, Papier und—digital aber fast doch nicht—Text-Dateien. Nur spät habe ich mich eine Bibliographie-Program bedient. Für die Bibliographie war das hilfreich, aber für meine eigentliche Recherchen und Gedankengänge blieb mir nur das altbekannte Durchsuchen meine Akten übrig.

    Was ich anders getan hätte, bestünde die Möglichkeit, wäre wohl mich ein Program zu bedienen, wo ich viele Tags benutzen konnte. Weniger nüztlich wäre wohl das „Artificial Intelligence“ von einem Programm wie DevonThink (für Macintosh), zumindestens heute noch. Ich habe mir auch gedacht, das man vielleicht doch die Mühe machen müsste, Tinderbox (von Eastgate für Macintosh) gut zu lernen. Das erlaubt sowohl Tags wie auch Mind Maps und Outlines, ist aber alles anders als Einfach.

    Für mich taucht die Frage auf, ob diese Hilfsmittel mir nur helfen können, meine Quellen, Notizen und Gedanken zu organisieren, womit schon viel getan wäre, oder ob sie mir vielleicht doch auch doch der Denkprozess fördern könnten, weil sie vielleicht neue Zusammenhänge sichtbar machen.

  2. Lisa Spiro, Direktorin des Digital Media Center der Fondren Library an der Rice University hat die Quellen ihrer Dissertation nochmal elektronisch nachrecherchiert:

    „In remixing my dissertation as a work of digital scholarship, I’m trying to use digital resources for my research as much as possible. But is this even possible? How many research materials in American literature and culture are available online as full-text, and how reliable are these electronic texts? I worked on my dissertation between 1996 and 2002 […] If I were to begin researching my dissertation now, what new possibilities would be open to me, and what problems would I face in trying to rely on digital resources?

    To find out, I searched for each of the 296 items in my original bibliography in both free and subscription-based online collections such as Google Books, Open Content Alliance/Internet Archive, JSTOR, Project Muse, Early American Fiction, Making of America, Net Library, and Questia (which requires an individual subscription). I found that 83% of my primary source materials and 37% of my secondary source materials are now available online as full-text“

    http://digitalscholarship.wordpress.com/2008/05/05/how-many-texts-have-been-digitized/

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