Geschichte, öffentliche

Als ich vor vielleicht fünf Jahren einem ehemaligen, mittlerweile in die USA emigrierten Studienkollegen etwas umständlich erklärte, was ich denn heute so tue, meinte er nach einer Weile kurz: Aha, das nennen die bei uns Public History. Hätte man ja auch selber drauf kommen können, dachte ich, wahr ist aber auch: Damals wurde der Begriff im deutschen Sprachraum – und ich wage zu behaupten in Europa – so gut wie gar nicht verwendet.

Seit vielleicht zwei bis drei Jahren ist das anders: Public History hat sich in die Fachsprache eingenistet. Zumindest löst es nicht mehr nur ein grosses Fragezeichen aus. Allerdings: Die Frage, was man unter Public History verstehen möchte, ist von ungebrochener Aktualität – selbst in den USA. Und das ist gut so.

Natürlich gibt es Definitionen, längere und kürzere. Eine, die mir gefällt, findet sich als Motto der Zeitschrift Public History Review:

Public History Review investigates the nature and forms of public history: how and to whom is the past communicated and how does the past operate in the present?

Geschichte als Kommunikation, eng verbunden mit Medien, orientiert auf ein bestimmtes Publikum und Teil unserer Weltbetrachtung, kurz: öffentlich. Und damit diskutierbar, umstritten, einflussreich. Das Schöne daran: Diese Definition macht keine Grenze auf zwischen akademischer und nicht-akademischer Geschichtsschreibung.

Gerade diese war nicht nur konstitutiv in der Fachentwicklung, als sich Geschichte im 19. Jh. zum akademischen Fach mauserte, sondern sie spielte auch eine Rolle in den Anfängen der Public History-Bewegung in den frühen 1970er Jahren, und zwar im Sinn der Überwindung der alten Grenze: Public sollte die neue Geschichte sein in dem Sinn, dass sie sich an ein nicht-akademisches Publikum wenden wollte. Gleichzeitig hatte die Bewegung auch das Ziel, Historikerinnen und Historikern neue Tätigkeitsfelder ausserhalb von Universitäten zu eröffnen. Mittlerweile verfügen fast alle us-amerikanischen und australischen Universitäten über entsprechende Studiengänge, es gibt mehrere Forschungszentren und eine grosse anglo-amerikanische Community, die sich vor allem auch über das Web unterhält.

Im deutschen Sprachraum gibt es vorderhand einen Studiengang: Im Wintersemester 2008 wird in Potsdam der erste Masterstudiengang in Public History starten. Und ein fertig entwickeltes Weiterbildungsprogramms in Public History an der Universität Luzern (hist.net berichtete), das bislang nicht starten konnte: Weiterbildungen sind, im Gegensatz zu Grundausbildungen, bekanntlich mit erheblichen Kosten verbunden.

Und neu: Diese Rubrik im Weblog von hist.net!

6 Gedanken zu „Geschichte, öffentliche“

  1. Sehr interessant. Der Begriff der Public History ist mir noch nicht unter gekommen, beschreibt aber das, was mich interessiert und womit ich mich gerne beschäftige. Man lernt nie aus. Gibt es neben den amerikanischen Communities auch deutsche? Mein Interesse am Gegenstand dieses Gebietes ist auf jeden Fall geweckt.

  2. Das freut mich! Deutsche communities gibts in dem Sinn nicht. Das hängt wohl entscheidend mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten zusammen, unter denen „Geschichte in der/für die Öffentlichkeit“ verhandelt wird. Und das wiederum mit dem unterschiedlichen Entstehungskontext von Public History in den USA und ihrem quasi-Pendant in Deutschland, das man eher unter wenig animierenden Stichworten wie „ausserschuliche Geschichtsdidaktik“ findet, oder unter „Geschichtskultur“. Im Detail nachlesen kann man solche Dinge bei Simone Rauthe, die 2001 eine (betont akademisch-theoretisierende) Dissertation vorgelegt hat mit dem Titel: Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Selber hält die Autorin allerdings die Geschichtsdidaktik mittlerweile für sehr reformbedürftig, wie aus einem 2007 veröffentlichten Artikel hervorgeht – da kann man ihr wohl nur zustimmen.

  3. Nicht nur die Geschichtsdidaktik muss sich ändern, sondern auch die grundlegende Einstellung der Gralshüter der historischen Objekte und Gebäude. Da kann der Geschichtsunterricht noch so gut sein, außerschulisch wird man sich nur mit Geschichte befassen, wenn auch die Möglichkeiten gegeben sind und man zur Informationsgewinnung nicht gegen Museen, Bibliotheken und Archive kämpfen muss, sondern sie wirklich in vollem Umfang nutzen kann. Solange aber die Museen, die staatlichen Schlösser, die Bibliotheken und Archive Geschichte und Kultur derart monopolisieren wie das zumindest in Deutschland, Italien und Großbritannien der Fall ist (Fotografierverbote, Kopierverbote, Copyfraud aller Art, mangelhafte Öffnungszeiten, mangelhafte Internetbeschreibung und Digitalisierung von Beständen, ewig schlummernde Depots, hohe Eintrittsgelder und Jahresbeiträge trotz üppiger Suventionen), solange brauchen sich die Verantwortlichen auch nicht zu wundern, wenn die Generation, die mit Fotohandy, Youtube, Blog, Wikipedia usw. aufwächst, sich für ihre verschnarchten Institute schlicht nicht mehr interessiert. Und sie irgendwann auch nicht mehr finanzieren will. Die Ignoranz betrifft inzwischen ja sogar Ministerpräsidenten, Zitat Günther Oettinger: „Die Kritik [an den geplanten Karlsruher Handschriftenverkäufen] kommt im Kulturteil der Tageszeitungen und nicht im Wirtschaftsteil.“ Ein „Open Access turn“ könnte da vielleicht noch das schlimmste verhindern. Dass in Projekten wie der Wikipedia tausende auch junger Nutzer sich mit geschichtlichen Themen mehr oder weniger fundiert befassen, ist doch zumindest ein gutes Zeichen. Diesen sollte man aktiv zuarbeiten und sich nicht hinter angeblichen Urheberrechten, hinter Verboten und Gebühren verschanzen.

  4. Ja, diese Klage ist alt und auch noch nicht obsolet, und doch hat sich vieles geändert in den letzten 15 bis 20 Jahren. Ohne hier erschöpfend antworten zu wollen oder können nur spontan das Bild, das beim Lesen des Kommentars von AndreasP sich aus meiner Erinnerung auftauchte: Letztes Jahr im Pariser Musée d’Orsay, der Versuch die mehrheitlich hochkarätige Auswahl an Malerei des 19. Jahrhunderts zu betrachten, der schliesslich zum Studium der Bildrezeption der dort sehr zahlreich anwesenden Generation Fotohandy mutierte – als technisch unbewaffnete Museumsbesucherin fühlte man sich wie aus längst vergangener Welt, aber ich habe mich entschlossen, in manchen Fällen gern altmodisch zu bleiben. Aber nur in manchen.

  5. @BeatriceSchumacher: Da ist natürlich auch was dran. Aber ich rede hier nicht nur Klischees nach, sondern durchaus aus eigener Efahrung. Beispiele, was durch freiwillige Amateure an Vermittlung und auch Museumswerbung in den Wikimedia-Projekten möglich ist, habe ich hier versammelt. Etwas anders formuliert und aus anderem Anlass steht meine „Klage“ hier, sind Ideen dazu hier notiert.

  6. Hallo,

    ein sehr interessanter Beitrag und eine eben solche Diskussion dazu.
    Ich würde nur gern eine Kleinigkeit richtig stellen. Der PH-Master wird in Zusammenarbeit mit dem „Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam“ angeboten, jedoch nicht dort sondern an der FU-Berlin in Berlin.

    liebe Grüße
    Georg

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