Historische Online-Kompetenz: Lesen – Quellen

Unbesehen vom Streit darum, ob Blogs nun für sich journalistische Bedeutung in Anspruch nehmen können, ensteht eine neue Quellengattung, die sich doch etwas anders fassen lässt, als sonstige Websites oder Foren, weil Blogs oft eine persönliche Handschrift tragen. Dies sind oft Individuen, können aber auch Gruppen sein. Allerdings sind die Grenzen (wie beim Begriff Blog ohnehin) fliessend. Dennoch wäre es wohl interessant, Blogs als Quellengattung wie Selbstzeugnisse aus anderen Jahrhunderten auszuwerten.

Blogs sind durch Trackbacks, Kommentarfunktionen, RSS und spezialisierte Suchmaschinen untereinander sehr gut vernetzt. Informationen und Gerüchte machen schnell die Runden. Damit verstärken Blogs noch die Wahrnehmung des Internets als Ort von Konspirationen (und der Ausbreitung von Konspirationstheorien), die ohnehin schon virulent ist. Was das Internet gerade in dieser Hinsicht als Quelle schon hergibt, zeigt einerseits die herausragende Studie „Anthrax“ von Philipp Sarasin (Besprechung bei der Wochenzeitung und bei H-Soz-Kult, die beide leider nicht weiter auf die ausgewerteten Quellengattungen eingehen) aber auch die Artikel-Folge „WTC Conspiracy“ von Matthias Bröckers. So meint Bröckers: „Um an die Informationen in diesem Buch zu kommen, musste ich weder über besondere Beziehungen verfügen, noch mich mit Schlapphüten und Turbanträgern zu klandestinen Treffen verabreden – alle Quellen liegen offen. Sie zu finden, leistete mir die Internet-Suchmaschine Google unschätzbare Dienste.“ Verfasst hat Bröckers seine Serie noch vor der Entstehung der Blogger-Szene – aber nach dem Aufschwung von Google… Kritisch reflektiert wird Bröckers Serie von Michael Setsche in seinem Artikel „Die ergoogelte Wirklichkeit“ bei Telepolis.

Die Internet-Quellen haben sich in der Zeit seit der Abfassung dieser Publikation gewandelt. Die einfache Bedienbarkeit der Blogs hat zu noch mehr unterschiedlichen, diversen, verzettelten Stimmen und Meinungen geführt – und zu zusätzlichen Quellen für interessante Fakten. In den USA gibt es ca. 3.5 Millionen Blogs, das ist eine ziemliche Menge. Klar kommt einem da immer wieder die Rede von der Informationsflut, oder von der Megabit-Bombe in den Sinn, die Stanislaw Lem schon 1964 als Bedrohung für die Menschheit bezeichnet hat. Die Klagen über den Informationsoverkill, gepaart mit alarmierenden Einschätzungen des Informations-Mülls, durch den wir als NutzerInnen waten müssen, steht im Kontrast zu den Verheissungen der „kollektiven Intelligenz“, wie sie Pierre Levy vertritt, oder der „Weisheit der Vielen“, wie sie James Surowiecki beschreibt.

Mit anderen Worten: Im Internet treffen sich kulturpessimistische Niedergangsfantasien, hyperventilierende Konspirationstheorien und esoterisch angehauchte Zukunftverheissungen – das Internet ist eine sehr ergiebige und spannende Quelle, die Blogs besonders. Wer wertet diese mal aus?

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