Google-Syndrom oder: Vom schalen Gefühl „danach“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf science.orf.at

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, das sich immer einstellt, wenn man mit Google oder einer anderen Suchmaschine etwas im Netz sucht: Auf der einen Seite ist man froh und gleichzeitig verblüfft darüber, dass sich heute zu fast jedem Thema irgendetwas finden lässt mit.

Auf der anderen Seite bleibt nach jeder Suche das schale Gefühl und der dräuende Verdacht, nicht alles gefunden zu haben, was man eigentlich hätte finden können. So sind die angezeigten Ergebnisse immer nur ein endlicher Ausschnitt aus dem unendlichen Allwissen, das Google uns zu erschliessen scheint.

Jedes Mal, wenn wir googeln, werden wir mit der Erfahrung einer permanenten, nicht hintergehbaren Abwesenheit von Wissen konfrontiert. Ich google, du googelst, wir alle googeln – wie ja unterdessen auch im Duden nachzulesen ist. Aber übrig bleiben immer diese Leerstellen.

Das uralte Phantasma des Allwisens wird im Netz auf vielfältige Art und Weise bedient. Wikipedia zum Beispiel hat lange Zeit mit dem grossartigen Spruch geworben: „Wir sammeln das Wissen der Menscheit – auch Deines …“.

Und gleichzeitig versucht sich Wikipedia in eine bestimmte historische Tradition einzuschreiben, zum Beispiel, indem Wikipedia-Gründer Jimmy Wales in einem Interview sagt: „Wir spielen nicht nur auf einer Website herum, wir schaffen etwas, das neu in der Welt ist, das alle früheren Arbeiten an Enzyklopädien übertrifft. Man wird sich an Wikipedia in 2000 Jahren als die Bibliothek von Alexandrien unserer Zeit erinnern.“

Und der Wikipedia-Unterstützungsverein „Wikimedia Deutschland – Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V.“ lässt seine Statuten mit einer Präambel beginnen, in der Denis Diderot zitiert wird, einer der führenden Köpfe bei der Konzeptionierung und Realisierung der berühten Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers.

Es gibt in der Kulturgeschichte des Abendlandes eine lange Reihe von Versuchen, alles Wissen der Menschheit zu versammeln und es ist symptomatisch, dass heute, mit dem Internet, die Beschäftigung mit diesen Konzepten wieder zugenommen hat.

Die alexandrinische Bibliothek des Alterums war wohl der erste Versuch, alles Wissen nicht nur an einem Ort zu versammeln, sondern auch inhaltlich zu erschliessen. Dazu wurden die ersten Katalogsysteme entwickelt, die sogenannten Pinakes.

Einen Meilenstein stellt auch die Bibliotheca Universalis der Zürcher Arztes und Polyhistors Conrad Gesnner dar, in welcher er die bibliographischen Angaben zu allen gelehrten Schriften, die er finden konnte, verzeichnete. Gleichzeitig schrieb er auch eine Anleitung, wie sich eine solche Arbeit bewältigen lässt und war somit der Geburtshelfer des modernen Zettelkastens.

Zu nennen sind sicherlich auch Melvil Dewey und Paul Otlet die Ende des 19., anfangs des 20. Jahrhunderts Klassifikationssysteme entwickelt hatten, mit denen jedes Thema erfassbar hätte sein sollen. Systeme übrigens, die auch heute noch in vielen Bibliotheken auf der ganzen Welt Verwendung finden.

Die wirkungsmächtigste Vision in diesem Bereich stammt wohl von Vannevar Bush, der 1945 einen Aufsatz veröffentlichte, in welchem er eine Maschine skizzierte, die in der Lage sein sollte, alle Bücher, Notizen und die gesamte Kommunikation eines Menschen zu speichern und mechanisiert abrufbar zu machen. Diese Maschine namens MEMEX wurde nie gebaut, aber sie beflügelte zahlreiche Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten.

Man könnte – als Hypothese formuliert – sogar von einer wissensgeschichtlichen Sattelzeit sprechen, die mit dem Aufsatz von Bush beginnt und im September 1998 mit der Gründung von Google endet. In diesen Jahrzehnten wurden zahlreiche Konzepte und Theorien entwickelt, die dorthin geführt haben, wo wir heute stehen.

Aufgearbeitet ist diese Entwicklung erst in Ansätzen, viele Ideen sind im Laufe der Zeit wieder verschwunden und tauchen dann plötzlich wieder auf. So zum Beispiel das Konzept des Faceted Browsing, das seit einigen Jahren als der mögliche nächste grosse Hype im Bereich der Bibliothekskataloge gilt. Das Konzept dazu wurde 1951 in Indien veröffentlicht, erste Skizzen zu dieser komplexen, aber sehr effizienten Suchmethode stammen vermutlich vom französischen Philosophen Condorcet, der sie in einem nicht veröffentlichten Manuskript Ende des 18. Jahrhunderts aufschrieb.

Das Google-Syndrom umfasst nicht nur die Leerstellen beim Suchen, sondern auch das Einwirken der gesellschaftlichen Konstruktionen von Wissen auf den ganz alltäglichen Umgang mit Information und Wissen. Oder mit anderen Worten: Es geht um die im Zeitalter von Google um sich greifende Gleichsetzung von Information und Wissen, die Ausblendung also jeglicher Genealogie von Wissen. Dies wiederum setzt voraus, dass Wissen als wertfrei und frei von ökonomischen, politischen oder kulturellen Einflüssen imaginiert wird und dass gleichzeitig diskursive Ordnungen des Wissens und der Darstellung von Wissen negiert werden.

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