Reichlich unbemerkt ((oder hat irgendjemand irgendwo über die Preisverleihung was anderes als Ankündigungen gelesen?)) zeichneten am 25. November 2008 die deutsche Wikimedia, die Mainzer Akademie und der Verlag Spektrum der Wissenschaften in Mainz die besten Artikel in Wikipedia mit der Zedler-Medaille aus.
Je 2500 Euro gingen an Marcus Cyron, für seinen Artikel über die Schwarzfigurige Vasenmalerei, und an Joachim Miesbauer (WP-Name Bradypus) für seine Artikel über die Dinosaurier-Gruppe der Ceratopsidae. Laut dem Wikimedia-Blog gaben die beiden Preisträger an, der Anlass für die ausgezeichneten Artikel sei eine Wette um ein Abendessen gewesen. Ausserdem wird mitgeteilt, dass es sich um langjährige Wikipedianer handelt, die andere Wissenschafter zur Mitarbeit an der Wikipedia gewinnen wollen.
Leider wird nicht weiter dargelegt, warum diese Artikel preiswürdig sind oder ob die Bezeichnung „enzyklopädischer Beitrag“ eigentlich noch auf diese seitenlagen Abhandlungen passt. Man hätte sich auch etwas mehr Reflexion darüber gewünscht, wie sich die Auszeichnung von Einzelpersonen-Beiträgen mit dem Ansatz kollaborativer Autorschaft der Wikipedia verträgt (hat schon Kollega Haber angesprochen), oder inwiefern die Zedler-Medaille konkret zur Verbesserung der 836.166 Artikel (Stand 11.12.2008) in der Wikipedia beitragen soll. Irgendwie scheint mir, dass der Erfolg der Wikipedia auf der Selbstorganisation von ungezählten Freiwilligen basiert, die nicht wegen 2500 Euro oder einer Medaille mitwirken. Und glaubt die Wikimedia wirklich, ein solcher Preis liesse die skeptische Scientific Community ihre Vorbehalte über Bord werfen? Die werden doch eher zu wissenschaftsinternen Veranstaltungen wie der Docupedia gehen, oder?
Dazu ein paar Gedanken:
Ein Preis ist zuerst einmal eine Würdigung für eine besonders gute Arbeit. Ob diese nun in der Wikipedia oder in hochwissenschaftlichen Zeitschriften erfolgt, ist eigentlich egal. Selbst der Kaninchenzüchterverein Harsewinkel e.v. vergibt regelmäßig irgendwelche Preise, warum sollte die Wikipedia es nicht run?
Es ist auch völlig logisch, das gerade solche halb obskuren Themen nur von wenigen Autoren behandelt werden. Experten für schwarzfigurige Vasenmalerei gibt es nicht wie Sand am Meer. Bei anderen Artikel mit „breiterem Interesse“ arbeiten auch mehr Leute mit. Das ist in der Forschung genau gleich – zu bestimmten Themen publizieren auch nur eine handvoll Wissenschaftler.
Die Artikel sind auch nicht so lang. Der Artikel über die Schwarzfigurige Vasenmalerei ist ausgedruckt 34 Seiten lang. Entfernt man alle Bilder und die im Druck sehr langen Literaturhinweise und Einzelnachweise, kommt man auf 22 Seiten. So lang sind auch manche Einträge in herkömmlichen Fachlexika. Außerdem ist die Wikipedia nicht an die Einschränkungen eines gedruckten Lexikons gebunden. Wenn ein guter Artikel zu einem Thema etwas länger ist, leiden keine anderen Artikel darunter. Interessanter ist, ob der Artikel in der Einleitung das Thema gut zusammenfasst.
Exellente Artikel haben auch eine Signalfunktion. Die herkömmliche Kritik an der Wikipedia lautet kurz zusammengefasst „man weiß nicht, wer da alles schreibt“, „das ist alles nicht belegt“, „das kann sich jederzeit ändern“ und „nicht wissenschaftlich“. Diese Kritik verdampft an einem immerhin vom Spektrum-Verlag ausgezeichneten Artikel problemlos.
Das ist ja schön, dass jemand für die Wikipedia-Zedler-Idee eine Lanze bricht. Klar: es steht jedem frei, Preise zu verteilen – dann muss man aber auch mit dem Risiko leben, dass die Wirkung in der Öffentlichkeit die gleiche ist wie beim Kaninchenzüchterverein Harsewinkel.
Selbstverständlich ist es einfacher, mit wenig bekannten Themen „ungestörter“ zu arbeiten. Genau darauf wollte ich ja hinaus. Und darum verdampft die Kritik nicht so ohne weiteres. Solange die Artikel mit den meisten Zugriffen (sagen wir mal: Faschismus, oder: Französische Revolution, oder: Zweiter Weltkrieg) von sehr vielen Leuten bearbeitet wird, greift ja genau die Kritik („man weiss nicht, wer da schreibt“ etc.) ziemlich präzise an. Dann mit einer Zedler-Medaille zu kontern, die Nebenthemen in einem Artikel abhandelt, der entgegen der erklärten Absicht von Wikipedia von einer Person verantwortet wird, erfüllt doch schlicht die Kriterien eines Ablenkungs-Manövers. Das ist meiner Ansicht nach das falsche, bzw. ein irreführendes Signal.
Wegen der Länge: mag sein, und der unbeschränkte Platz ist zuweilen vermutlich ein Vorteil. Aber die Vermengung verschiedener Anspruchsniveaus (Fachlexikon, Konversationslexikon, „Bravo“-Kompendium) stellt in der Wahrnehmung und auch bei der Nutzung von Wikipedia ein Problem dar.
Kurzum: meine Skepsis bezüglich dem Sinn und Zweck dieser Auszeichnungen bleibt vorerst bestehen.
Aus Sicht von Wikimedia Deutschland ist das Ziel der Zedler-Medaille, neue Autoren aus der Wissenschaft für die Wikipedia zu gewinnen, Kontakte von Wikipedia zur akademischen Welt zu stärken und beispielsweise über die von der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz gestellte Jury auch über die Wikipedia in einen kritischen Dialog zu treten. Insofern freue ich mich wirklich über die Rückmeldung auf diesem Blog.
Wir sehen das Konzept, eine Einzelleistung auszuzeichnen nicht im Widerspruch zum Ansatz der Wikipedia. Zwar wird der Begriff der von Wikipediakritikern eingeführten und von Journalisten geliebten Schwarmintelligenz häufig angeführt, aber das ist nicht das was in der Wikipedia stattfindet. Wer in die Liste der exzellenten Artikel bei Wikipedia schaut, sieht dort Artikel die von ein, manchmal zwei Autoren geschrieben wurden. Diesen Einzelautoren wird von anderen geholfen, indem kritische Anmerkungen erfolgen, Tippfehler verbessert werden oder Formatierungen geändert werden, aber die wirklich guten Artikel sind Einzelleistungen. Richtig ist, dass es für den Leser später faktisch aufgrund der „Vermüllung“ der Versionsgeschichte nicht mehr nachvollziehbar ist, wer nun diese Autoren waren, aber das ändert ja erstmal nichts an der Sache.
Was die Länge der Artikel angeht, so sehe ich persönlich das ebenfalls kritisch, bei einer entsprechenden Einleitung, die das wichtigste auch für den zusammenfasst der nicht 20 Seiten Text lesen will, allerdings akzeptabel. Die Jury unter Leitung von Prof. Kurt Gärtner hat dies insbesondere beim Artikel zur schwarzfigurigen Vasenmalerei kontrovers diskutiert: „Ist das eigentlich noch ein Lexikonartikel?“, aber letztlich mit „Ja“ beantwortet.
Noch eine letzte Anmerkung zu den Nischenthemen: Die Qualität von Artikeln zu grundlegenden Themen in der Wikipedia ist ein Problem und gerade dafür braucht die Wikipedia eben Fachleute. Das letzte Jahr, in dem Josef Wininger mit einem Artikel zu Ludwig Feuerbach ausgezeichent wurde, ließ da hoffen, für die Zukunft wollen wir halt weiter daran arbeiten, uns der Skepsis in der Scientific Community zu stellen, aber auch den vorhanden guten Willen dort irgendwie in die Wikipedia zu leiten.
Herzliche Grüße
Philipp Birken
Wikimedia Deutschland
Nando Stöcklin äussert sich ebenfalls zur (Über?-)Länge von Wikipedia-Artikeln, insbesondere von den als „exzellent“ ausgezeichneten Beiträgen: http://wiklin.blogspot.com/2008/12/zu-lange-wikipedia-artikel.html.
Zunächst einmal – es stimmt. Das lief alles mehr als versteckt, um nicht zu sagen sehr unbefriedigend ab. Der einzige Gewinner dabei war ich, da ich Rummel um meine Person sowieso nicht mag. Aber für den eigentlichen Sinn des Ganzen war es ein Schlag ins Kontor. Die Würdigung der Artikel erfolgte durch Professor Gärtner bei der Preisverleihung, leider ist das nicht noch anders passiert. Ich kann zumindest sagen, warum mein Artikel das Mü vor dem engsten Konkurrenten war: Grund war, daß es nicht nur diesen einen zentralen Artikel gab, sondern dieser zu einer ganzen Gruppe mittlerweile in die Dreistelligkeit gehender Artikel aus diesem Bereich zählender Artikel gehört.
Philipp hat schon einiges Richtiges geschrieben. Bei so gut wie jedem ambitionierten Artikel gibt es einen bis selten mehr als zwei Hauptautoren. Das Kollektive gibt es dort auch weiterhin. Ich habe die Textstruktur geliefert. Aber ohne die vielen Leute, die den Artikel sprachlich, grammatikalisch und orthographisch überarbeitet hätten, hätte er nie eine Chance gehabt. Ich habe auch alle Personen zur Preisverleihung eingeladen, die etwas mehr im Artikel getan haben. Ich hätte sie gerne dabei gehabt. Und in meinen Dankesworten nahm diese Würdigung der Zusammenarbeit und Gemeinschaft einen großen und wichtigen Teil ein. Kollaborativ kann hier gar nicht heißen, daß mehrere Autoren so einen Artikel gemeinsam schreiben. Das funktioniert nicht, zudem gäbe es massive strukturelle Probleme. Und dennoch haben ein Dutzend Autoren ihre Spuren im Artikel hinterlassen.
Die Kritik an der Artikellänge ist in meinen Augen falsch. Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, enzyklopädische Artikel müßten kurz und knapp sein halte ich für faktisch falsch. Es gibt Unmengen von Beispielen in anderen Nachschlagewerken, wo Artikel einen sehr großen Umfang erreichen können. Als Beispiele nenne ich hier nur einmal den Artikel „Germanen“ in der „Realenzyklopädie der Germanischen Altertumskunde“ oder den Artikel „M. Tullius Cicero“ in der RE. Zudem entsteht in der Wikipedia derzeit eine neue Form enzyklopädischer Artikel. Das Projekt ist nun einmal ganz neu. Das gab es zuvor noch nie. Wieso sollte immer alles so bleiben, wie es der Brockhaus gemacht hat? Dinge ändern sich, entwickeln sich. Im Idealfall wären alle Artikel lang – die Einleitung sollte dann eine Kurzform des Artikels wieder geben. Zumindest sollten zentrale Artikel länger sein. Das ist auch in vielen Nachschlagewerken so. Hier kann ich das LexMA nennen, oder auch den DNP. Wikipedia ist dann so anders nun wirklich nicht. Einen guten Artikel kann man zudem selektiv lesen. Was mich als Leser nicht interessiert überspringe ich.
Was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass man von der Länge eines Artikels nicht mehr auf dessen Relevanz schließen kann. Bei anderen Enzyklopädien kann man das, je länger ein Artikel dort desto wichtiger das Lemma.
vgl http://www.referenceworld.com/mtm/coldwar/planning.asp
Sicher – aber vor allem darum, weil man sich hier am vorhandenen Platz orientieren mußte. Das ist in der Wikipedia nicht der Fall. Hier kann man sich im Idealfall immer detaillierter in ein Thema einlesen. Wenn es gut läuft, kann man sich den Artikel der Tiefe heraus suchen, den man zu einem Thema braucht. Zumindest sollte es irgendwann einmal sein. Man darf ja auch nicht vergessen – Wikipedia ist Work in Progress. Ein Projekt zu Erstellung einer Enzyklopädie. Das ist nicht fertig. Selbst die besten Artikel werden sicher immer wieder erneuert, ergänzt, verbessert.
Das bezweifle ich. Wikipedia gibt’s nur in einer Ausgabe. Verlage hingegen haben neben ihrer Enzyklopädie noch tiefergehende Fachlexika. Bei Wikipedia soll das aber beides eine Ausgabe gleichzeitig stemmen, Kürze und Tiefe. Es gibt Internetangebote, die darauf reagieren http://www.exika.de. Eine „Sortimentsausweitung“ in lizenzkompatible Fachwikis wäre da langfristig eine Strategie.