An der Tagung „Historisches Lernen im Virtuellen Raum“, die letzte Woche in Heidelberg stattfand, habe ich erstmals aus meiner laufenden Forschungsarbeit (Geschichte 2.0) berichtet. Ich habe mir Gedanken zum Copy/Paste-Verhalten der von mir befragten Schüler/innen gemacht, und mir die Frage gestellt, was das mit dem Geschichtslernen zu tun hat.
Meine Überlegungen werden dann ja noch schriftlich in einem Tagungsband vorgelegt werden, hier also nur skizzenhaft die wesentlichen Punkte:
„Kopieren ist böse“: Der gesellschaftliche Diskurs stellt momentan das Kopieren sehr nahe zum Plagiat, mithin zum Betrug. Unter Verdacht stehen praktisch alle Mitglieder der so genannten „Net Generation“, also alle, die mit dem Umstand gross geworden sind, dass es Unmengen an digitalen Informationen gibt, die einfach zu beschaffen sind, und die wissen, wie man aus digitalen Dateien den gesamten Inhalt, bzw. interessante Teile kopiert.
Kopieren ist eine Arbeitstechnik, die die Schüler/innen nutzen, um die notwendigen Informationen für die Erfüllung einer Aufgabe (Aufsatz schreiben, Vortrag halten) zusammenzustellen. Das ist so neu nicht. Neu ist die vergleichsweise einfache Operation des Kopierens aus sehr vielen verschiedenen digitalen Vorlagen, die das Umschreiben oder Neuschreiben zuweilen stupide erscheinen lässt, andererseits aber einen sorgfältigen Umgang mit den kopierten Texten verlangt, wenn man plagiatorisches Verhalten vermeiden will. Hier sind die Jugendlichen zuweilen überfordert, bzw. zu wenig sensibilisiert und/oder ausgebildet; teilweise ist es ihnen aber auch egal. Es gibt natürlich auch solche, die sehr bewusst betrügen. Andererseits gibt es auch Jugendliche, die statt digital zu kopieren einen Medienbruch vollziehen und die Informationen aus dem Internet ausdrucken, bearbeiten und als Grundlage für das Verfassen eines Textes nehmen.
Kompilieren und Vernetzen: Beim Kopieren lassen sich verschiedene Formen identifizieren, die idealtypisch als Kompilieren (das zu einem „Mosaik“ führt) oder als Vernetzen bezeichnet werden können. Das ist interessant im Zusammenhang mit historischen Sinnbildungsprozessen, weil es auf unterschiedliche Selbstwahrnehmungen im Erstellungsprozess von Narrativierungen hinweist. Hier sind aber noch zusätzliche Auswertungsschritte erforderlich.
„Aneignung“ und „Fremdwissen“: Das Kopieren korreliert auch mit dem Grad der „Aneignung“ von Informationen im Allgemeinen, und von historischen Erzählungen im Besonderen. Hier ist noch zu prüfen, ob die als „eigene“ Geschichtserzählungen wahrgenommenen Texte weniger kopierte Passagen aufweisen, und welchen Einfluss auf Erzähltypen und Sinnbildungsmuster diese „Aneignung“ auf das Endprodukt haben kann.
Kopieren und Teilen: Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang auch, dass die Grenze zwischen „eigenem“ und „fremden“ Wissen von den Schüler/innen nicht so präzise gezogen werden kann: ihre individuelle Leistung der Narrativierung nehmen sie kaum wahr, die Individualität wird gerne als „Meinung“ von den allgemeinen „Fakten“ getrennt. Auch im Hinblick auf „Zugehörigkeit“ sind die Grenzen nicht so präzise gefasst: Von wem Wissen stammt, wird kaum thematisiert – in Schulbüchern wie in Wikipedia werden die Verfasser/innen in der Regel nicht sehr deutlich gemacht. Die Schüler/innen verarbeiten zudem auch ganz verschiedene geschichtskulturelle Eindrücke und Inputs: Hinweise von Eltern und Bekannten, Eindrücke aus Filmen, Informationen aus Unterrichtsmaterialien oder auch Erkenntnisse aus dem Unterrichtsgeschehen: Oftmals können die Schüler/innen nicht eindeutig nachvollziehen, woher sie die Informationen zu ihren Aussagen bezogen haben – und deshalb auch nicht nachweisen. Andererseits teilen Sie die Informationen auch gerne mit: das unendlich gross erscheinende Internet führt zu einer Kultur des Hinweisens: Man gibt den Peers Tipps, wo und wie interessante Informationen zu finden sind.
Narrative Leistungen: Das Kopieren und Teilen hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Schüler/innen narrative Leistungen erbringen, was sie als eigene narrative Leistung wahrnehmen. Das Kopieren setzt (selbst beim Vollplagiat) gewisse, wenn auch minimale narrative Leistungen voraus: man muss ja in einem Akt narrativer Analyse zumindest ansatzweise erkennen, was man kopieren will, bzw. ob das kopierte Material den eigenen Vorstellungen und Ansprüchen entspricht, wie eine Narration aussehen soll. Beim Arrangieren von kopierten Passagen und bei ihrer redaktionellen Bearbeitung muss ja eine narrative Grundstruktur vorliegen, an der sich das Arrangement ausrichtet. Das soll nicht Copy/Paste verharmlosen, sondern darauf hinweisen, dass Schüler/innen Leistungen der Narrativierung vielleicht in vielfältiger Weise bereits beim Recherchieren und Evaluieren von Informationen aus dem Internet erbringen. Es wäre folglich zu prüfen, ob nicht die Logik der historischen Methode (Heuristik, Kritik, Interpretation) auch bei Internet-Recherchen Anwendung finden (wie dies Knut Engeler bereits andeutet ((Knut Engeler: Historisches Wissen recherchieren, in: Günther-Arndt, Hilke: Geschichts-Methodik : Handbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2007, S. 149-151.))) und damit die Recherche als Teil des historischen Erkenntnisprozesses angesehen werden sollte, gleichsam als „digitale historische Methode“.
Literatur kann hier nur sporadisch nachgewiesen werden, drei Hinweise seien erlaubt:
Die Net-Generation (bzw. Digital Natives) haben wir hier schon thematisiert, die neuste Publikation hierzu: Palfrey, John; Gasser, Urs: Generation Internet. Die Digital Natives, wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten, München 2008.
Zu Plagiaten und zum Kopieren haben wir hier im Weblog auch schon unzählige Einträge geschrieben, die einzige grössere empirische Untersuchung ((sieht man von der intensiven grundsätzlichen Thematisierung des Plagiats durch Stefan Weber ab, z.B. in: Weber, Stefan: Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden, Hannover 2006.)) im deutschen Sprachraum: Sattler, Sebastian: Plagiate in Hausarbeiten: Erklärungsmodelle mit Hilfe der Rational-Choice-Theorie, Hamburg 2007.
Zur Frage der narrativen Leistungen von Schüler/innen ist noch immer grundlegend: Barricelli, Michele: Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht, Schwalbach 2005.
Wir wachsen ohne Copyright auf. Wenn wir Fragen haben, fragen wir unsere Eltern. Die erklären uns (hoffentlich) warum der Himmel blau ist oder warum die Sonne untergeht. Wir nehmen Wissen als Allgemeingut wahr. In der Schule wird auch nicht auf Urheberrechte hingewiesen, sondern man lernt was im Buch steht. In einer anderen Klasse oder auf einer anderen Schule lernen die Kinder meistens genau das gleiche. Also die Präsenz des selben Wissens in Kopie. Wenn jeder Lehrer oder jedes Lehrbuch ein dezentralisierter Wissensspeicher ist, ist Wikipedia ein zentraler Wissensspeicher mit dem genau umgegangen wird, wie mit Lehrern oder Büchern. Genau wie man aufschreibt, was ein Lehrer an die Tafel schreibt oder abschreibt, was in einem Buch steht, kopieren die Schüler Dinge aus Wikipedia.
Für mich sieht das so aus, als wäre nicht Wikipedia das Problem, sondern die Methodik, die den Schülern beigebracht wird. Die Methodik funktioniert nur so lange, wie sie im eigenen Mikrokosmos aus ausgewählter Literatur und ausgewählten Meinungen angewandt wird. Wirklich prüfen lernen die Schüler nicht. Noch dazu wird wenig über Urheberrechte geredet.
Dabei ist in der heutigen Zeit alles flüchtiger. Musik, Filme, Bilder, Texte – alle geistigen Güter können heute sehr schnell kopiert und transferiert werden. Kopierbar ist alles, auch wenn es illegal ist. Man muß versuchen ein Gefühl für geistiges Eigentum zu vermitteln.
Ohne Philosophisch werden zu wollen, diese geistigen Güter finden mehr zu ihrer Ursprungsform zurück. Gedanken werden aufgeschrieben, damit sie festgehalten werden und verteilt werden können. Heute sind (digitale) Texte wieder viel näher am Gedanken. Flüchtig, schnell veränderbar, nur gleichzeitig können sie auch schnell um die Welt reisen. Das gleiche gilt für Musik und Bilder jeder Art. Ich muss sagen, dass mir die heutige Version lieber ist, aber wir müssen wohl noch lernen damit umzugehen.