Das Internet als Raum Historischen Lernens II

Der folgende Beitrag ist eine notiz-artige Gesamtschau der Tagung „Das Internet als Raum historischen Lernens“ am Institut für Zeit- und Regionalgeschichte in Schleswig aus der Sicht von Jan Hodel. Peter Habers Sicht der Dinge ist hier zu finden… So steht es dem geneigten Leser, der geneigten Leserin frei, sich sozusagen multiperspektivisch (oder gar kontrovers) über die verhandelten Inhalte zu informieren.

Donnerstag
Die Tagung wird eröffnet mit einem Vortrag von Waldemar Grosch, der einschlägig zum Thema publiziert hat (Computerspiele im Geschichtsunterricht, Internet im Geschichtsunterricht). Er präsentiert eine Gesamtschau in neun Thesen. Er beschreibt einerseits die Etablierung des Internets als Medium der Informationsbeschaffung und der Kommunikation und stellt auch fest, dass die apparative Ausstattung der Schulen bereits sehr weit fortgeschritten ist. Demgegenüber steht ein übergrosses Vertrauen in die Informationsangebote, die im Internet zu finden sind und auch eine Ernüchterung in Bezug auf dei Möglichkeiten des e-Learnings, wo sich noch zu wenige Anwendungen etabliert haben, die gegenüber herkömmlichen Unterrichtsszenarien einen Mehrwert darstellen können. Abschliessend stand die Frage im Raum, wie die Geschichtsdidaktik normativ wirken, also die Nutzung des Internets in ihrem Sinne beeinflussen kann – ein Leitgedanke, der im Laufe der Tagung noch einige Male aufgenommen wurde.

Freitag
Oliver Näpel von der Universität Münster befasst sich im Vortrag „Geschichte im Internet – und trotzdem Geschichtsbewusstsein?“ zunächst mit den Grundvoraussetzungen des historischen Lernens im Internet. Ausgehend von einem übergeordneten Lernziel der Geschichtsdidaktik, die ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein ausbilden will, setzt er sich kritisch auseinander mit verschiedenen Beispielen, unter anderem dem (vielgelobten) „Lebendigem Museum Online (LeMO)“ des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Nicht überprüfbare Meistererzählung: keine Überprüfbarkeit, viele implizite Wertungen. Entspricht einem konventionellen Anspruch an „Wie es war“-Ansatzes, einem geschlossenen Geschichtsbild. Dabei wäre Eigenaktivität der Lernenden durchaus möglich. (Näpel zeigt dies am Beispiel der Selbstdarstellung von Kaiser Wilhelm, die als Kriegserklärung an Frankreich gedeutet wird und schlägt ein Vergleich mit dem berühmten Porträt des Sonnenkönigs Louis XIV vor.) näpel schliesst daraus, dass viele historische Web-Angebote (vor allem so genannte Internet-Ausstellungen) zuwenig die Voraussetzungen der Nutzer/innen reflektieren (und zuwenig auf deren heterogene Zusammensetzung Rücksicht nehmen) und ihre Absichten nicht explizit genug darlegen.

Uwe Danker und Astrid Schwabe vom Institut für Zeit- und Regionalgeschichte stellen ihre grundsätzlichen Überlegungen vor, die sie im Rahmen der Entwicklung des Projekts vimu.info erarbeitet haben und die auch in der neusten Ausgabe von Geschichte und Wissenschaft nachzulesen sind. Dazu gehört ein geschichtsdidaktischer Kriterienkatalog als Voraussetzung für die Planung von historischen Internet-Angeboten. Sie präsentieren weiter eine Reihe von Charakteristika des Internets und schildern deren Potentiale und deren Risiken für das historische Lernen. (Mir fällt auf, dass das Internet ein „marktorientiertes Massenmedium“ bezeichnet wird. Ist es das?)

Sie weisen insbesondere auf die Heterogenität der Nutzer/innen und der Nutzung hin, die zu unkontrollierbaren Vermittlungsprozesse führen. Hypertext-Konstruktionen und das Platzparadox (beschränkter Bildschirmplatz und unbeschränkter Speicherplatz) sind zwei weitere Merkmale. Daraus ergeben sich zwei Zielkonflikte, mit denen sich das Projekt konfrontiert sah: Hypertext-Struktur und Platzbudget. Orientierung schaffen, verhindern „rückkehrloses Wandern“. Reduktion und Verknüpfung von Inhalten in historisch anspruchsvoller Weise. Sie kommen zu m Schluss, sich eine Selbstbeschränkung aufzuerlegen, selbstreferentiell wie eine CD-ROM, keine oder kaum Verlinkung nach aussen. Getoppt wird dies mit einem roten Balken, der beim Verlassen des vorgesehenen Pfades, bzw. der vorgegebenen Internet-Umgebung über dem Bildschirm erscheint und eine Rückkehr zum Inhalt der Website nahelegt. Die Referenten bezeichnen dies einen bewussten Verstoss gegen Konvention des Internets (Warum dann eine Website, wenn man sich die Vorteile selber verbietet…?). Sie tun dies, weil sie der Vorstellung einer zusammenhängenden Narration auch im Internet folgen wollen. Sie äussern Zweifel an der „Konstruktivität“ beim Leseprozess in Hypertext-Gebilden und sehen eher Auflösung von Narrationen, die gleichsam im Hintergrund dennoch wirksam sind. Dafür sollen für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedliche Texte bereit gestellt werden.

Vadim Oswalt behandelt in seinem Vortrag „Virtuelle Gedenkstätten, hypertextuelle Lernwelten und enzyklopädische Wissensspeicher – Unterrichtsorientierte multimediale Angebote zur Neueren und Neuesten Geschichte“. Sein Referat fokussiert vor allem auf CD-ROM-Angebote. Er betont die Rolle von Bldern in der Geschichtsvermittlung, die auch interpretative Fähigkeiten zum Entschlüsseln von Bildern erfordern. Er verweist auf die Funktion „technischer Bilder“ (Bilder 3. Abstraktion nach Flusser), die Begriffe darstellen und zeigt dies am Beispiel der Geschichts-CD-ROM „Ein Jahrhundert deutscher Geschichte 1848-1949“. Auf dem Eingangsschirm findet sich eine scheinbar ungeordnete Darstellung von Personen, die jeweils für Kapitel der CD-ROM stehen. Erkennbar sind aber „demokratische“ und „autokratische“ Achsen, die für zwei Strömungen in der deutschen Geschichte zu stehen scheinen.
Bemerkenswert scheint mir eine kurze Anmerkung zur Zersplitterung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschichteh, die zu einer Etablierung von Sparten-Erinnerungen führt, zur Modularisierung der historischen Erinnerungswelten, die sich parallel und unkonfrontiert (ohne Auseinandersetzung) im Internet darstellen und entfalten können.

Thomas Hilmer stellt WebQuest-Szenarien als Methode historischen Lernens vor (auf der Seite von Thomas Hilmer unter Navigationspunkt „Webquest“ – leider nicht direkt verlinkbar…).

Hilmer stellt die Frage: Was ist Medienkompetenz? Er stellt eine Gliederung in Technik, Recherche, Analyse, Präsentation vor. Seine These: Seit 1990 nehmen Medien (im Sinne von Medienvielfalt) zu, die Kompetenz, damit umzugehen, nimmt jedoch ab, weil zu viele verschiedene Medien und Mediennutzungen die Nutzer/innen überfordern.

Hilmer postuliert das Ziel, die Medienkompetenz mit Ansätzen der Fachmethodik zu laden: Systematische Arbeit mit Materialien, vergleichende Analyse, Unterscheidungskriterien herausarbeiten, Kritischen Blick schulen, Historisches Arbeiten verbessern, Medienvielfalt einbeziehen. Pointiert formuliert: Den Versuch wagen, mit neuen Medien die Studierenden in die Bibliothek zuu bringen!

Hilmer führt Webquest nicht (wie ursprünglich in den 1990er Jahren in den USA entwickelt) als geführte Internet-Recherche durch, sondern beispielsweise als Vergleich von Internet-Inhalten mit Primärquellen und gedruckter Literatur. Damit wird die Fachmethodik mit der Mediennutzung in Verbindung gebracht. Ziel ist eine fundierte (mit historischen Kompetenzen erweiterten) Medienkompetenz.

Christoph Schäfer (Universität Hamburg) bestimmt zunächst die Rolle der Bilder in der aktuellen Medienlandschaft, in der historisches Lernen stattfindet. Er verweist auf die Befunde von Stafford (Bilder vs. Schriftkultur), auf das Diktum Jean Baudrillard, der Bilder als „Mörder der Realität“ bezeichnet, und generell auf den iconic turn der 1990er Jahre. Er stellt die Frage nach der Rolle der Bilder im wissenschaftlichen Diskurs und auch im Prozess des Wissenstransfers.

Als Ergebnis dieser Überlegungen wird das DVD-Projekt: Römer und Germanen – Konfrontation und Integration (bei FWU) vorgestellt. Zur Anwendung kommt darin ein Konzept, das auf dem Bausteinprinzip basiert, das ein abgeschlossenes Geschichtsbild vermeiden soll. Enthalten sind Interviews, unkommentierte Aufnahmen von Grabungsarbeiten, 3D-Animationen und Rekonstruktionen. Die Sequenzen sind auch in einem „Hauptfilm“ zusammengefasst, der kapitelweise visioniert werden kann. Diese DVD wird als kommerzielles Produkt im Schulbereich vermarktet und hat schon einen stattlichen Teil der Produktionskosten einspielen können.

Mir stellt sich die Frage, wie stark bei diesem Projekt Möglichkeiten der „Neuen Medien“ genutzt werden, oder ob hier nicht eine Modularität gepflegt wird, die auch beispielsweise mit einem Buch-Projekt hätte umgesetzt werden können. Auch die Frage, ob das Bild stärker wirkt als der begleitende Text, scheint mir nicht geklärt. Und wird so nicht eben doch ein vergleichsweise geschlossenes Geschichtsbild vermittelt?

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