Schreiberlings Traum

Es ist nun einmal so: Wir sind und bleiben Schreibtischtäter. Wir, damit meine ich die Angehörigen der Zunft der Historiker. Der grosse Michel de Certeau, den wir hier ja auch schon erwähnt haben, sprach zwar von der «opération historiographique» und liess mich damit weniger einen hölzernen Schreibtisch als vielmehr chromblitzende Operationsinstrumente assoziieren. Aber das ist nur eine Illusion, der schöne Schein der klinischen Reinheit, den wir aber nie erreichen werden. Nein, wir sitzen am Schreibtisch, vor uns ausgebreitet die Beute aus Bibliothek und Archiv, Papierstapel, wohin man schaut und viele Bücher natürlich.

Es mag ein wenig paradox klingen, aber so arbeite ich tatsächlich am liebsten. Nur zum Schreiben benutze ich konsequent den Computer (fast konsequent, denn ohne mein Notizbuch gehe ich schliesslich auch nicht aus dem Haus und die Konzepte aller meiner grösseren Texte habe ich in eines der unzähligen Büchlein gekritzelt, in der Strassenbahn, im Freihandmagazin der Bibliothek oder – natürlich – im Kaffeehaus). Der Computer ist eine gute, brave Schreibmaschine. Und natürlich kann das Gerät auch mehr: mich zum Beispiel beim Suchen von Quellen und Literatur unterstützen, meine Trouvaillen verwalten, grosse Datenberge durchsuchen und und und. Aber ich lebe mit diesem Medienbruch zwischen Notizbuch und Word, zwischen Zettelkasten und Filemaker. Ich will weder das eine noch das andere missen.

Was ich aber je länger je weniger will, ist auf meinem Rechner nicht ein Informationssystem, sondern zahlreiche Informationssysteme bewirtschaften zu müssen. Ich zähle mal auf: Dateiablage von Windows, Literaturverwaltung in Filemaker, Mailablage in Thunderbird, Lesezeichen in Firefox, RSS-Feeds auf Pageflakes, Passwörter – nein, das verrate ich nicht, wo die sind … Ja, Himmel, muss das eigentlich sein? Könnte nicht wenigestens meine Homepage mir ein paar dieser Aufgaben abnehmen?

Ich stelle mir das so vor: Nachdem ich meinen Rechner hochfahre, kann ich mich auf meinem Online-Desktop einloggen. Dort sehe ich schön übersichtlich geordnet, was sich so alles getan hat seit meinem letzten Besuch: neue Mails, pendente Aufgaben, RSS-Feeds zum aktuellen Forschungsprojekt, Kommentare im Weblog, neue Literaturhinweise aus meinem persönlichen Litlink-Netzwerk und und und. Diejenigen bibliographischen Hinweise, die mir das Alert-System von Historical Abstracts geschickt hat und die mich interessieren, kann ich mit einem Mausklick in meine persönliche Litlink-Ablage befördern und mit meinen Stichworten versehen. Hinweise, die auch für die Übung im laufenden Semester interessant sind, kann ich gleich auch auf der Kursseite anzeigen lassen, andere merke ich mir für eine spätere Lektüre vor. Und so weiter und so fort.

Alle klagen über die Informationsflut, ich lasse mich gerne von Informationen fluten. Aber ich bin es leid, mehr Zeit aufwenden zu müssen, diese Informationen zu beschaffen und abzulegen, als ich Zeit habe, um diese Texte zu lesen. Das kann es doch nicht gewesen sein, oder?

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