citizendium ist online

Nun kann auch die interessierte Öffentlichkeit sich einen Eindruck von der „besseren freien Enzyklopädie“ verschaffen: Am Sonntag ging das Online-Lexikon citizendium mit 1100 geprüften Artikeln online. Die zugrunde liegende Technologie erinnert an Wikipedia: Jeder Artikel kann ediert und auf einer gesonderten Seite diskutiert werden. Doch relevant sind vor allem die Unterschiede: Die Berechtigung zum Schreiben und Redigieren erhält nur, wer sich mit seinem vollen Namen meldet, einen Lebenslauf mit 100 bis 500 Worten liefert und die Leitlinien vollumfänglich unterstützt. Diese Leitlinien sind sehr interessant, insbesondere die ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, was in citizendium unter „neutral“ zu verstehen sei.

Die bereits akkreditierten Autor/innen sind genau so bekannt wie die Editor/innen. Wenn bei einer ersten, flüchtigen Durchsicht (beispielsweise der Editoren im Bereich Geschichte) der Eindruck entsteht, dass hier zwar professionell ausgebildete, aber eher unbekannte Personen für die Auswahl der Inhalte verantwortlich zeichnet, ist dies zugleich Ausdruck des Vorteils von citizendium: Hier ist klar, wer hinter den Artikeln steht.

Dennoch bleibt offen, welcher Erfolg dem Projekt beschieden sein wird. Es will zwar ein „citizen compendium“ sein, verfolgt aber einen eher klassischen, fachprofessionell-akademischen Ansatz der Wissensgenerierung. Unklar bleibt mir, wer das Zielpublikum sein soll: die Scientific Community oder der „Mann von der Strasse“? Der Eintrag zu „Geschichte“ mag da noch nicht so recht überzeugen:

[…] In the 20th century, historians avoided epic nationalistic narratives, favoring more specialized studies looking as social, economic, political or intellectual forces. French demographic historians introduced quantitative history, using broad data to track the lives of average groupigs. Other French historians were prominent in the establishment of cultural history (cf. histoire des mentalités).[…]

Es gibt noch weitere Artikel in der Kategorie Geschichte, allerdings durchschaue ich noch nicht so recht, wann die Artikel als fertig bezeichnet werden („stable version“), offensichtlich ist noch kein Artikel im Bereich Geschichte „approved„. Der Eintrag zu „Industrial Revolution“ beispielsweise wird auf der Diskussionsseite als „fairly childish, mixing causes and results“ bezeichnet.

Ich bin schon gespannt, wie sich citizendium entwickelt, und ob es sich als Referenz gegenüber Wikipedia durchsetzen kann und wenn ja, in welchen Nutzergruppen. Und: wird man citizendium zitieren dürfen?

4 Gedanken zu „citizendium ist online“

  1. Ich vermute, dass citizendium sehr wohl zitierbar sein wird, da es ja eines der zentralen Kriterien für eine wissenschaftliche Quelle erfüllt: es gibt einen Autor (oder eine Gruppe von Autoren), der klar identifizierbar ist.

  2. Darauf wollte ich hinaus: Wikipedia ist ja nicht nur deshalb nicht zitierbar, weil es unwissenschaftlich ist (in Bezug auf die Transparenz der Autorschaft), sondern weil es eine Enzyklopädie ist. MIr stellt sich die Frage, an welchem Massstab citizendium gemessen werden will? Fach-Handwörterbücher? Oder Brockhaus? – Interessanterweise zielt der Reflex beim „Dürfen“ nur auf die Wissenschaftlichkeit – und diese macht sich primär an den Autor/innen fest. Dabei gibt es ja noch weitere zentrale Kriterien, die auch von citizendium thematisiert werden.

  3. Ich finde die Frage, was man zitieren darf, viel zu allgmein gestellt. Die Antwort hängt meines Erachtens davon ab, in welchem Kontext ich mich bewege. Abhängig von der geforderten Ausführlichkeit und Aktualität (und einigen Faktoren mehr) muss ich entscheiden, wann ich einen Lexikonartikel verwende und wann ein Fachbuch. In jedem Text, den ich schreibe, gibt es ja auch unterschiedlich dichte Passagen. Natürlich werde ich in der Einleitung, wenn ich den Forschungsstand diskutiere, nicht im Brockhaus nachschlagen. Wenn ich aber in einem Exkurs ein paar abgelegene Begriffe schärfen möchte und mich – aus welchem Grund auch immer – belegtechnisch absichern möchte, finde ich ein Fachwörterbuch oder auch eine Enzyklopädie ein legitimes Hilfsmittel (dann wäre ja auch noch zu klären, wie wir was definieren …). Wikipedia hingegen wäre für mich nur dann zulässig, wenn ich eine Art Metaebene bearbeiten möchte, im Stil von: So wurde das Thema xy zum Zeitpunkt a von einer technikafinen, x-sprachigen Teilöffentlichkeit diskutiert. Jede weitergehende Aussage über den Kontext eines Wikipedia-Zitates wäre Spekulation. Wenn ich aber eine Quelle nicht wirklich kontextualisieren kann, verstosse ich gegen die elementarsten Regeln der Quellenkritik und arbeite somit automatisch in einem ausserwissenschaftlichen Kontext! Mit Citizendium aber könnte das anders werden. Aber eben: könnte – was dann herauskommt, werden wir noch sehen.

  4. Ich habe mir mal die bestehenden Artikel im Bereich Antike etwas näher angesehen, Alexander den Großen, Julius Caesar, Punische Kriege und Caesius Nasica. Bisher kann ich keinen besonderen fachwissenschaftlichen Anspruch erkennen, der Autor der Kriege vermengt sogar lustig antike Quellen und moderne Sekundärliteratur, während der Autor des Caesar zugibt, dass er aus dem en.wp-Artikel dazu kopiert hat. Bisher klaffen zumindest in diesem Bereich Anspruch und Wirklichkeit also noch weit auseinander.

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