Die Zeit der Nerds im Netz sei vorbei, meint Florian Knoke in Spiegel Online, denn: „Das Internet gehört den Normalos„. Ja, mehr noch: Die Nerds hätten das Netz zwar gern zu ihrem Erfolgsprojekt gemacht, aber sowohl die Cordhosen-Träger-Lötkolben-Zeilenkommando-Tipper der 80er- und 90er-, wie auch die Neue-Welt-Ordnung-Idealisten der 00er-Jahre hätten den angestrebten Einfluss auf die Entwicklung des Netzes gar nie ausüben können. Der Erfolg des Internets sei allein den Normalos zu verdanken, die das Netz ganz unspektakulär udn langweilig in ihren Alltag integriert haben, der da heisst: Selbstoptimierung. Die Nerds von heute seien eher jene, die sich von Computern und Internet fernhalten.
So originell ist diese Beobachtung zwar nicht; schliesslich haben wir (genauer: Kollega Haber) hier bereits solche „Normalisierungseffekte“ thematisiert, ((man lese hier, hier oder hier)) wenngleich wir sie in ihrer Widersprüchlichkeit eher polemisch und hype-kritisch formuliert haben (was bei der geschätzten Leserschaft entsprechende Reaktionen ausgelöst hat).
Bemerkenswert finde ich diese Aussage in der Kombination mit einem heute ausgestrahlten (und eher bemühend wirkenden) Bericht des Schweizer Fernsehens, der das Phänomen Twitter erklären wollte, und dazu den klassischen „Anti-Nerd“ (im Netz-Sinne) suchte: einen Priester im Kloster Einsiedeln – sozusagen einen Informations-Spezialist einer traditionell auf Vermittlung von Botschaften spezialisierten Institution (womit wir hier auch noch gleich den Link zu Geschichte hingemurkst hätten). Logisch, dass sich der Novize (sic!) Martin Werlen innert kürzester Zeit im neuen Medium zurecht findet und selbst vom eigentlichen New Media-Spezialisten (Tom Brühwiler) lobende Worte erhält. Wer ist hier der Nerd, wer der Normalo? Und: Ist ein Bericht über Twitter in einer Mainstream-Sendung wie das Nachrichten-Journal „10 vor 10“ ein Anzeichen für die bereits erfolgte „Normalisierung“ – oder umgekehrt ein Vorgang, der die „Normalisierung“ erst so richtig anschiebt?
Die Twitter Community (oder zumindest ein Fraktal davon) reagiert jedenfalls ziemlich gespalten auf den Beitrag.
Ich sag nur google wave 😉 ist es nicht ein wenig wie in Bourdieus „die feinen Unterschiede“?
Ich will nicht sagen dass die Nerds (nennen wir sie hier auch mal Profis, denn wer sein Leben lang selbst auf der hemischen Toilette noch über römisches Sattelzeug forscht ist bei normalos wohl auch verschrien, im Unibetrieb vielleicht als Profi hoch geachtet) zwanghaft neue Technologien fördern, nur um sich von den aufstrebenden normalo-Bürgern wieder abheben zu können. Es liegt eher in der Natur der rasanten Entwicklung im Internet, dass man ständig etwas neues zum Aufspringen hat. Und ein wenig freut man sich ja schon hämisch wenn die „Aufholer“ nun endlich msn oder twitter nutzen, aber denken Google Wave wäre eine Naturkatastrophe und Facebook Apps das neue „big thing“?
Es ist erschreckend vor wie vielen Erwachsenen Menschen ich gerade den Respekt verlieren muss weil sie bei Facebook Blumen gießen in ihrem virtuellen Garten, Skype aber noch nicht einmal vom Hörensagen kennen.
Ih finde das Produktivitätsargument aber gut. Wer Mit web 2,5 oder wo wir mitlerweile stehen nur Zeit verschwendet, darf ruhig als Nerd eingestuft werden.
Wer aber mit dem Produktivitätsgedanken als Tech-Evangelist durch die Welt zieht wird wohl weniger ernst genommen als es ihm zusteht, denn er besitzt eine autodidaktisch erworbene Professionalität.
Apropos Evangelium, frohes Fest, mögen die Twitterserver nicht zusammenbrechen vor lauter anonymer Segenswünsche und Last-Minute-Geschenk-Hilfe-Rufe. Und möge uns Google Wave nicht hinwegspülen im neuen Jahr!
Für Rechtschreibefehler ist wie immer die Multitouchtaststur verantwortlich 😉
Der Lehrer in mir möchte ja immer gleich alle Rechtschreibfehler wegredigieren. Aber irgendwie doch auch ein schönes Erbe moderner Kulturtechnik, die der Nachwelt erhalten bleiben sollten, solche Artefakte wie „Multitouchtaststur“, denn: ja, stur ist sie manchmal, die „intelligente“ Auto-Korrektur! Da haben die Normalos sich doch grade erst ans Klönen darüber gewöhnt, dass die Kids vor lauter Rechtschreibkorrektur nicht mehr einen Satz gradeaus ohne Orthographie-Unfall schreiben können und da haben uns die Nerds schon die nächste Fehlerquelle kredenzt: Die Sprache geht vor die Hunde, weil die blöden Geräte zu dumm sind, unsere mühsam eingetippten Halb-Wörter richtig zu ergänzen. Hachja. Fröhliche Weihnachten!
…sind nicht auch nerds normalos, die manchmal einfach mit bier, mp3, facebook und VoIP mit dem laptop entspannen..? und ausserdem glaube ich nicht, dass sie geld- oder infrastrukturbedingt benachteiligt wären. das spiel geht nur in die nächste runde – während die normalos früher offline waren, sind sie heute in der obersten sphäre des netzes, während zur selben zeit 5-6 neue innere sphären entstanden sind…
😉