Die Entscheidung des Magazins (Samstagsbeilage zu Tagesanzeiger, Berner Zeitung und Basler Zeitung), seine Website mit einem Wiki zu verwalten und die Leser/innen einzubinden und mitwirken zu lassen (allerdings nur kommentierend…), hat mich noch einmal darauf aufmerksam gemacht, warum das „web 2.0“ auch mit dem Begriff „Social Software“ bezeichnet wird (Hinweis auf die Wikisierung des Magazins von Beat). Ich komme wieder zu einer Bemerkung, die ich bereits anlässlich des Workshops „Wikipedia in den Wissenschaften“ vor ein paar Wochen äusserte: Wikipedia (und auch andere Anwendungen des Web 2.0) ist weniger ein Werk (also: ein Buch, eine Zeitung, ein Film), das Informationen anbietet, sondern eher ein Ort, an dem Menschen über Inhalte verhandeln, sich austauschen und sich treffen.
Bei Wikipedia lässt sich das nicht so gut zeigen, wie hier bei dem Magazin-Projekt. Geht es den Blattmachern darum, „bessere“ Artikel, oder „demokratischere“ Artikel schreiben zu lassen? Nein, die Leser/innen dürfen ja gar nicht selber was schreiben oder die Artikel „verbessern“ (obwohl ich auf Anhieb zwei Tippfehler gesehen habe). Es geht vielmehr darum, einen Ort zu schaffen, wo möglichst viele Leute „hingehen“ um andere Leute zu treffen und gemeinsam was „zu unternehmen“, sich zu zeigen und einfach ein wenig „dabei zu sein“. Interessant ist die Möglichkeit, eine „community“ zu bilden – oder noch besser, sich bilden zu lassen. Gut für das Image, gut aber auch für die Werbeabteilung. Die ökonomischen Aspekte des Aggregierens in Web 2.0 haben wir hier auch schon einmal angesprochen.
Und was hat das, bitte, mit Geschichtswissenschaften zu tun? Ich denke, es greift zu kurz, Web 2.0-Anwendungen nur unter dem Aspekt zu beurteilen, ob und wie darin fachwissenschaftliche Inhalte von gesicherter Qualität publiziert werden können. Hier werden die bewährten Kanäle fachwissenschaftlicher Publikation weiterhin von zentraler Bedeutung bleiben – auch wenn die Form von Erstellung, redaktioneller Prüfung und vor allem Verbreitung sich ausdifferenzieren und stärker digitalisiert wird. Ich glaube, Blogs und Wikis werden vor allem für das Knüpfen, Pflegen und Erweitern sozialer Netze wichtig werden – auch im fachwissenschaftlichen Bereich.
Die Social Software wird dabei die „echten“ sozialen Netzwerke mit Face-to-Face-Kommunikation nicht ersetzen, sei es am Arbeitsplatz oder an Tagungen. Aber die Transaktionskosten, bzw. der Aufwand für soziale Kontakte vor allem (aber nicht nur) über grössere Distanzen werden verringert und die Kontakte können mit nutzbaren Inhalten verbunden werden.
Die „Ort“-Metaphier kann übrigens auch beim persönlichen Info-Management helfen. Statt täglich hunderte von RSS-Feeds abzugrasen, um ja keine relevante Meldung zu verpassen (wie man früher – oder auch heute noch – Zeitschriften durchblätterte), kann man nach ein paar Tagen wieder auf den „Dorfplatz“ kommen und in die Runde fragen, was in letzter Zeit Berichtenswertes geschehen ist. Hier sehe ich eine wirklich neue Dimension von Web 2.0 – ansonsten haben wir nur eine Inflation mit Info-Häppchen mittlerer Qualität, die wir mit immer raffinierterer Technik besser zu überblicken und zu filtern versuchen.
Da fällt mir ein, dass die Metapher von „Heidegger in der Strassenbahn“ eher auf Social Software passt. Ich hatte ja das Bild bemüht, dass eine Internet-Recherche bei einer Suchmaschine dem Unterfangen gleiche, in einer Strassenbahn die Fahrgäste über Heidegger auszufragen. Man kann dabei auf einen Philosophie-Professor stossen, auf einen Schüler, der grade ein Referat vorbereitet hat oder auf einen Hobby-Philosophen – dabei bleibt mal offen, mit wessen Antwort man am meisten anfangen kann. Die Suchmaschine scheint mir eher einen Griff in ein grosses Gefäss mit durcheinander gewürfelten Drucksachen unterschiedlicher Herkunft zu entsprechen. Die Strassenbahn eher der Social Software. Ja, web 2.0 ist eigentlich eine Strassenbahn…