HyperKult 16 (III)

Michael Seemann vom Institut für Wald- und Wiesenphilosophie rapportiert pointiert über die HyperKult 16 und findet den Anlass, alles in allem, „mau“. Auch mein Beitrag «Das unendliche Archiv. Phantasmatisches Allwissen im Netz» kommt nicht gut weg:

Man hat zwar mit Peter Haber jemanden eingeladen, der das Thema Internet und was dort gerade alles so passiert, wenigstens zur Sprache gebracht hat. Aber über das Grundlagenwissen ging auch sein Vortrag nicht hinaus. Und auch in Sachen Theoriebildung hätte man hier einiges mehr machen können.

Die noch allzu dünne Theoriebildung – geschenkt! Im Rahmen meines aktuellen Forschungsprojektes «digital.past» soll sich das aber noch ändern. Erstaunt (und eigentlich auch erfreut) hat mich Seemanss Einschätzung, dass ich lediglich Grundlagenwissen vermittelt habe. Das Thema «Phantasmatisches Allwissen im Netz» griff ich erstmals 1999 in einem längeren Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung auf; damals erhielt ich sehr viele Reaktionen und ich hatte nicht den Eindruck, Grundlagenwissen zu vermitteln. Wenn sich das in der Zwischenzeit geändert haben sollte, wäre das eine schöne Entwicklung. Man muss auch sagen, dass seither viele gute Texte zum Thema erschienen sind – allen voran natürlich der materialreiche Text von Hans Dieter Hellige im Jahre 2000 (der letzte Woche auch in Lüneburg war):

Hellige, Hans Dieter: Weltbibliothek, Universalenzyklopädie, Worldbrain: Zur Säkulardebatte über die Organisation des Weltwissens, in: Technikgeschichte, 67 (2000), 4, S. 303-329.

Sehr einverstanden bin ich mit Seemanns Kommentaren zu den Vorträgen von Loebel und Holtwiesche. Bei Loebel («Das ewige Gedächtnis? – Grenzen digitaler Speicher und Probleme der Langzeitarchivierung») hatte ich auch den Eindruck, so ziemlich alles schon einmal in konziserer Form gehört zu haben und bei Holtwiesche schwankte auch ich zwischen Bewunderung und Verärgerung – Bewunderung, dass einer hinsteht und sagt, er werde eine Dissertation schreiben, wisse aber noch nicht, worüber und er werde nun einen Vortrag halten, und wisse ebenfalls noch nicht genau, worüber. Und Verärgerung, weil mit dem Titel des Vortrages («Der Computer als Universalmedium – Zur Diskursgeschichte einer Vision») die dann folgende postmoderne Theorie-Bricollage nicht viel zu tun hatte.

4 Gedanken zu „HyperKult 16 (III)“

  1. Das war nicht bös gemeint und ist sicher vor allem eine Perspektivfrage. Für „netcitizens“ wie mich ist das alles nicht so neu. Für die meisten Menschen sicher aber schon. Und dass man sich dem Feld überhaupt wissenschaftlich annimmt, finde ich schon mal sehr gut. Wie gesagt, ich hätte mir mehr von diesen Themen gewünscht und bin froh, dass Sie da waren. Da passiert gerade etwas, was für die Zukunft eine enorme Bedeutung haben wird.

    Außerdem war Ihr Vortrag so ziemlich der Hauptgrund, warum ich zum Hyperkult gefahren bin. Bei so hohen Erwartungen, kann man eigentlich nur enttäuscht werden (was ich gar nicht mal war). 😉
    Mein eigenes Diss-Projekt befasst sich nämlich selber mit dem Archiv, aber aus genuin philosophischer Perspektive.

  2. Beim Begriff des «Archivs» war ich in Lüneburg tatsächlich sehr zurückhaltend. Ich hatte eigentlich zu voreilig den etwas grossspurigen Titel «Das unendliche Archiv» gewählt und erst beim Schreiben gemerkt, dass ich da natürlich in Teufels Küche komme, wenn ich nicht sehr, sehr präzise die verschiedenen Verwendungsarten von «Archiv» auseinandernehme. Konkret: Die Geschichtswissenschaft verwendet m.E. einen sehr anderen Archivbegriff als die Medienwissenschaft und ich finde es gar nicht so einfach, diese Unterschiede in ein paar klare Sätze zu packen (was aber bei einem Vortrag nötig ist).

    Ich hatte dann kurzentschlossen den entsprechenden Passus im Manuskript wieder herausgenommen – weshalb ich dann auch, wie Christoph Tholen bemerkt hatte, so gut in der Zeit lag. Das Thema «Archiv» ist für mich aber für die Weiterarbeit eines der zentralen Fragen und dass Sie auch daran arbeiten, freut mich sehr. Gibt es schon Zwischenergebnisse oder eine Skizze Ihrer Arbeit zu lesen?

  3. Ich stehe da noch eher am Anfang. Es gibt viele Ideen und ein bereits veraltetes Exposee. Da ich auch dauernd arbeiten muss, komme ich gerade nicht so voran. Aber so viel kann schon mal gesagt werden:

    Der Begriff ist philosophisch gesehen enorm schwierig. Sieht man schon bei dem frühen Foucault, der ihn zentral einführt, sich aber sehr vage hält bei dessen Bestimmung. Und der schnell ins Schlingern kommt, sobald er es versucht.

    Ich persönlich glaube auch, dass es ein Begriff ist, mit dem man vorsichtig hantieren sollte, weshalb ich ihre Entscheidung verstehen kann. Ich würde sogar soweit gehen, dass wir im Internet gerade erst gezeigt bekommen, was ein Archiv ist oder sein kann, oder gar schon nicht mehr ist. Ich bin geneigt zu glauben, dass unser Begriff vom Archiv gerade, wie kaum etwas anderes, in Frage steht. Nicht nur was das Ausmaß angeht, sondern auch dessen gesellschaftlicher und epistemologischer Funktion und Funktionsweise. Die Frage nach der „Zeugenschaft“ von Herrn Tholen, nach ihrem Vortrag ist m.E. wegweisend: „Wer hat das Recht zu entscheiden, was archiviert wird und was nicht?“. Und ich denke, die Wikipedia ist da nur einer der Anfänge vom Ende dieser Zeugenschaft.

    Was mir an Ihrem Vortrag noch sehr positiv aufgefallen ist: Sie haben nicht nur auf die Idee einer allumfassenden Wissensakkumulation verwiesen, sondern sind auch auf den „Zugang“, das schnelle Abrufen der gewünschten Information eingegangen. Ich finde, dieser Aspekt wird häufig vernachlässigt, obwohl er m.E. die eigentliche Schwierigkeit im Denken des Archivs darstellt. Denn wenn es, im klassischen Archiv, eine, ich sag mal, Ökonomie der Zeugenschaft gibt, die darauf achtet, dass es nicht „unübersichtlich“ wird, nicht „zugemüllt“ wird, dann vor allem deswegen, um das schnelle „Abrufen“ weiterhin zu gewährleisten.

    Nur erleben wir heute völlige neue Formen des Zugänglich-Machens. Allem voran die Tags, RSS aber auch die Suchmaschinenindizierung, überhaupt die Volltextsuche und nicht zu vergessen: der unglaubliche Hyperlink.

    So. Jetzt bin ich aber ganz schön abgeschwiffen…

  4. Ihr Vorschlag, das Archiv mit dem Internet neu zu denken, ist verlockend und klug. Wahrscheinlich müssten wir dann diesen Archiv-Begriff vom geschichtswissenschaftlichen respektive archivischen Archiv-Begriff klar abtrennen. Damit hätten dann vielleicht meine Kollegen Historiker Mühe, aber mir fällt auch kein besserer Begriff ein, den wir für Ihr – ich nenne es einmal salopp kulturwissenschaftliches – Konzept von Archiv verwenden könnten. Vielleicht am nächsten wäre der «Kulturspeicher», den Georg Christoph Tholen ja gerne verwendet, und der mir sehr gefällt. Man müsste einmal durchdenken, ob das funktionieren würde.

    Der Speicher-Begriff impliziert wohl auch ein wenig die Frage der Zugänglichkeit, die mir tatsächlich wichtig ist, vielleicht auch deshalb, weil dieses – vordergründig auch sehr praktische – Thema mein eigener Zugang zu dieser Frage war: Zuerst in meiner Arbeit als Journalist und dann später in den vielen Kursen «Internet für Historiker» etc., die wir in Basel gemacht hatten.

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