«Suchmaschinen» avant la lettre?


Ausschnitt aus Illustration „Kapitän Nemo nimmt den Höhenstand der Sonne auf“ ((Jules Verne: Zwanzigtausend Meilen unter’m Meer. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band IV–V, Wien, Pest, Leipzig 1874, S.112, verfügbar bei WikiCommons (http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:JulesVerneNemo.jpg&filetimestamp=20110213025900).))

Interessant, was ich bei der Lektüre von Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“ entdecke:

Der Kapitän Nemo, ohne mir zu antworten, winkte mir, ihm in den großen Saal zu folgen. Der Nautilus tauchte einige Meter unter das Wasser, und die Läden öffneten sich. Ich eilte an das Fenster, und erkannte unter Korallen versenkt, mit Seepflanzen überdeckt, mitten unter zahllosen reizenden Fischen, etliche Trümmer, welche die Suchmaschinen nicht hatten fassen können, lauter Gegenstände gescheiterter Schiffe. ((Verne, Jules: Zwanzigtausend Meilen unter’m Meer. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band IV–V, Wien, Pest, Leipzig 1874, S. 163-164; zitiert nach Zeno.org (http://www.zeno.org/Literatur/M/Verne,+Jules/Romane/Zwanzigtausend+Meilen+unter%27m+Meer/1.+Theil/19.+Capitel).))

Suchmaschinen? Ist Jules Verne also nicht nur das Erdenken elektrisch betriebener U-Boote und der Mondfahrt zuzuschreiben, hat der berühmteste Science-Fiction-Autor der Grande Nation auch das Internet vorhergesagt? Wohl kaum. Im Original heisst die Passage:

Le capitaine Nemo ne répondit rien, et me fit signe de le suivre au grand salon. Le Nautilus s’enfonça de quelques mètres au-dessous des flots, et les panneaux s’ouvrirent.
Je me précipitai vers la vitre, et sous les empâtements de coraux, revêtus de fongies, de syphonules, d’alcyons, de cariophyllées, à travers des myriades de poissons charmants, des girelles, des glyphisidons, des pomphérides, des diacopes, des holocentres, je reconnus certains débris que les dragues n’avaient pu arracher, des étriers de fer, des ancres, des canons, des boulets, une garniture de cabestan, une étrave, tous objets provenant des navires naufragés et maintenant tapissés de fleurs vivantes. ((Verne, Jules: Vingt mille lieues sous les mers, Paris: Hetzel 1870, S. 149-150; zitiert nach WikiSource (http://fr.wikisource.org/wiki/Livre:Verne_-_Vingt_mille_lieues_sous_les_mers.djvu). ))

Die „Suchmaschinen“ heissen also im Original „Dragues“, was mein guter PONS von 1988 mit „(Schwimm-)Bagger; Schleppnetz“ übersetzt (zum gleichen Ergebnis kommt auch dict.leo.org). Ich frage mich folglich, welche Phantasien der (unbekannte) Übersetzer (oder Übersetzerin?) in den 1870er Jahren wohl hegte, als er (sie?) diesen Begriff mit „Suchmaschinen“ übersetzte? Es ist ja doch bemerkenswert, wie sehr die vorliegende Verwendung auf die Metaphernwelt des Internets mit „Informationsflut“ und „Surfen“ zu passen scheint.

Können sich hier mal berufene Literaturhistoriker/innen, Etymolog/innen und/oder interessierte Sprachwissenschaftler/innen mit diesem Fund befassen – und ihre Erkenntnisse oder Einschätzungen in den Kommentaren hinterlassen?

4 Gedanken zu „«Suchmaschinen» avant la lettre?“

  1. Überaus korrekt und erhellend, die Anmerkungen der Kollegen Schmalenstroer und Tantner, besten Dank! Meine Ergänzung: die Verwendung des Begriffs, die in der ngram-Analyse den Ausschlag um 1960 hervorruft, ist bereits eine Bezeichnung im Umfeld der Informatik, und zwar im Standardwerk „Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung“ von Informatik-Koryphäe Karl Steinbuch. Zu klären wäre noch, was diese „Suchmaschinen“ im Vor-internet-Zeitalter für eine Funktion erfüllten. Denn das erschliesst sich aus dem Snippet in Google Books mir mit meinen beschränkten IT-Kenntnissen nicht unmittelbar. zumal der Begriff offenbar nur einmal im diesem umfassenden Werk vorkommt:

    Eine kleine, langsame 1/4-Zoll-Magnetband-Suchmaschine ist von Herne u. Co., Washington, gebaut worden […]. Ein und Ausgabe zwischen Magnetband und elektrischer Schreibmaschine ist direkt, ohne Zwischenschaltung eines Lochstreifens. Es können nicht mehr als 4 Deskriptoren in der Frage benutzt werden. (Steinbuch, Karl: Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung, Berlin 1962, S. 1303)

    Informatik-Historiker/innen, bitte melden!

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