Es ist schon interessant, wie sich das diskursive Feld formiert: Hier die üblen Burschen von Google („Datenkrake“), die unser aller Daten möglichst umfassend sammeln und dann gewinnbringend verscherbeln – ja überhaupt den Datenfluss im Internet kontrollieren wollen. ((Vgl. den letzten Hinweis in diesem Blog von Peter Haber, aber auch schon frühere Beiträge zu diesem Thema von mir. Sehr passend auch der Blog-Eintrag „Wissen, was Google von mir weiss“ von Beat Döbeli)) Und dort die wackeren, unbeugsamen Helden des freien, anarchischen, demokratischen Wissens (jaja, die Assoziation mit Asterix drängt sich auf) bei Wikipedia. Nun hat der Stern (nach Nature und ct) ((Vgl. Weblog-Einträge zu Nature-Studie und zu ct-Test)) auch noch einen Test nachgeschoben (und macht damit gleich auf der Titelseite auf). Wikipedia wird darin mit dem Brockhaus verglichen (der Online-Ausgabe allerdings). Thomas Osterkorn fasst das Ergebnis im Editorial wie folgt zusammen:
Das Ergebnis des Tests hat uns alle überrascht: Wikipedia lässt in vielen Fällen selbst den ehrwürdigen Brockhaus alt aussehen.
Inhaltlich ist da nicht viel Neues zu entdecken. ((Hilfreich die kurze Zusammenfassung bei Wikipedistik-Blogger Tim Bartel)) Da wird (diesmal von Experten) ein Bruchteil der Gesamtmenge von Wikipedia-Artikel mit entsprechenden Artikel in anderen Publikationen verglichen. Wie diese Auswahl zustande kommt, wird nicht offengelegt (in der Pressemeldung ist von „zufällig ausgewählten“ Artikeln die Rede, was immer das heisst). In der Regel handelt es sich um populäre Begriffe, die von vielen Menschen gesucht werden (das können auch im wissenschaftlichen Bereich populäre Begriffe sein). Norbert Bolz hat ja schon festgestellt, ((anlässlich seines Vortrags zur Eröffnung der GMW07)) dass jene Artikel in Wikipedia von höherer Qualität sind, die ein grösseres Publikum interessieren. Daher sei der Artikel zur Stubenfliege hervorragend, jener zu Norbert Bolz schlecht. Das hat zwar einen netten selbstironischen Touch – doch was, wenn ich jetzt was über Norbert Bolz wissen muss? Hier reicht die Logik der Schwarmintelligenz einfach nicht aus, denn auch Minderheiten-Themen, um es mal so zu sagen, möchte ich gerne in ansprechender Qualität vorfinden. ((Hier setzt ja auch die Kritik von Jason Lanier ein)) Ausserdem lässt gerade Wikipedia den Schluss von einzelnen Beiträgen auf die Gesamtheit nicht zu (weder im positiven noch im negativen Sinne): zu heterogen sind beteiligte Autoren, Entstehungskontexte, Inhalte.
Natürlich ist die Gegenüberstellung des „bösen Google“ und der „guten Wikipedia“ nicht schlüssig: Beide ergänzen sich im Alltag der Internet-Recherche in harmonischer Weise. Aber es ist interessant zu beobachten, wie Wikipedia zunehmend jenen Platz des glaubwürdigen globalen Informationsmaklers einnimmt, den Google gerne hätte.
Oder mit anderen Worten (in diesem Falle aus dem Stern-Editorial von Thomas Osterkorn):
Der Begriff „Web 2.0“ beschreibt eine rasante Entwicklung im Internet: Die Benutzer erstellen die Inhalte zusehends selbst, vernetzen sich untereinander, tauschen Meinungen, Bilder und Filme aus. Ihre Lieblingsseiten heißen StudiVZ oder Youtube – und deren Erfinder wurden durch den Verkauf ihrer Ideen über Nacht Millionäre. Eines der erfolgreichsten „Web 2.0“- Angebote macht da eine sympathische Ausnahme: Das Internet-Lexikon Wikipedia lebt nur von Spenden und vom Idealismus seiner zigtausend Autoren, nichts und niemand verdient daran. Wikipedia ist kostenlos und werbefrei und hat nur eine Mission: möglichst viel Wissen für möglichst alle Menschen verfügbar zu machen.
Das ist interessant, als ich vom Vergleich Wikipedia/Brockhaus hörte, war gar nicht die Rede davon, dass es nur um den Online-Brockhaus ging 😉
weshalb „nur“ Online-Brockhaus? Unterscheidet sich der negativ vom gedruckten, d.h. hat der gedruckte Brockhaus etwas was der Online-Brockhaus nicht hat?
Ich habe zwar nicht „nur“ sondern nur „allerdings“ geschrieben, aber ich denke, es ist schon ein Unterschied, ob mit der 15-bändigen Online-Ausgabe mit 140’000 Artikeln oder mit der 30-bändigen gedruckten (und auf USB auch digital vorhandenen) Ausgabe mit 300’000 Artikeln verglichen wird. Allerdings wäre im konkreten Fall zu prüfen, wie stark sich die jeweils untersuchten Artikel in den beiden Ausgaben dann tatsächlich unterscheiden. Mir ging es einfach darum, zu zeigen, dass es hier nicht einfach um den Brockhaus geht, der in der Bibliothek steht. Aber es gibt sicher kundige Leser/innen, die hier kompetent Auskunft geben können!
ok, danke. mit „nur“ bezog ich mich auf den Kommentar von goncourt, sorry … .
Interessant ist sicher auch, auf die einzelnen Zielgruppen zu schauen: wer nutzt die Wikipedia, wer den Brockhaus (und in welcher Edition).
Oh ja, da gäbe es sogar sehr viel interessante Fragen – und es wäre schön, wenn es dazu mal Studien gäbe und nicht nur diese (ich sage es so hart) oberflächlichen Tests. Denn der Vergleich ist in der Tat bedeutungsvoll, weil er Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Alltag hat.
Ein wenig ketzerisch, aber ich frage mich: Was hat der Brockhaus, was hat Wikipedia mit dem «wissenschaftlichen Alltag» zu tun? Es mag vielleicht für den Hochschulalltag relevant sein, für die (universitäre) wissenschaftliche Praxis sind weder Brockhaus noch Wikipedia wirklich relevant. Oder promoviert man neuerdings mit dem Brockhaus in der Fussnote?
Das „nur“ klang jetzt abwertender, als es gemeint war. Der Unterschied ist im Übrigen schon insofern relevant, da ja eine der Stärken der Wikipedia die Geschwindigkeit ihrer Aktualisierungen ist. Da ist die gedruckte Ausgabe ja schlecht vergleichbar (soll wohl in der Stern-Geschichte eins der Kriterien gewesen sein).
@ Kollege Haber: die Frage ist nicht ketzerisch, sondern zu deinem mehrfach geäusserten Standpunkt absolut konsistent. Ich frage mich auch, was das mit der wissenschaftlichen Praxis (die an Universitäten, aber auch an anderen Hochschulen – zumindest gelegentlich – anzutreffen ist) zu tun hat; komme aber wohl zu einem anderen Schluss (und damit ist nicht die flapsige Antwort „Kommt darauf an, an welcher Uni, in welchem Fach, bei welchem Prof und zu welchem Thema man promoviert“ gemeint): Ich denke, die „Gatekeeper“-Funktion von Enzyklopädien in der wissenschaftlichen Praxis ist nicht zu unterschätzen. Hand aufs Herz: wer braucht nicht schnell Brockhaus oder Wikipedia, um während der wissenschaftlichen Arbeit einen Begriff oder eine Person nachzuschlagen? Auch wenn das nie in einer Fussnote auftaucht, so ist es doch Einfluss auf den Verlauf wissenschaftlicher Arbeit. Das ist das eine Interesse. Das andere Interesse dreht sich mehr um die Frage, wie wirkungsmächtig gesamtgesellschaftliche Diskurse und Zuschreibungen von „Autorität“ dann eben doch auf die wissenschaftliche Praxis zurückwirken, weil vor lauter Begeisterung über den Erfolg dieses sympathischen Non-Profit-Projekts diese wichtige Unterscheidung zwischen „wissenschaftlicher Grundlagenliteratur“ und Enzyklopädie verwischt wird. Übrigens gibt es auch einige Beispiele von Wikipedia-Artikeln, die bewusst die Grenzen eines enzyklopädischen Eintrags überschreiten und mit dem Anspruch eines wissenschaftlichen Handwörterbuchs daherkommen. Darum mein ceterum censeo: Es gibt nicht „ein“ Wikipedia, sondern „viele“ Wikipedias (Wikipedia als Ort, nicht als Produkt).
Update: bei Wikipedia gibt es eine Extra-Seite mit den verglichenen Schlagworten. Es handelt sich, wie vermutet, um sehr populäre Begriffe, wie Eisbär, ISS, Varusschlacht etc. Interessant, dass Wikipedia bei Hip-Hop den kürzeren zieht…! (Denn die 6 von 50 Artikeln, die beim Brockhaus besser bewertet wurden, sind gekennzeichnet). Ernüchternd die Presseschau: Hier wird von den Medien die Stern-Meldung einfach eins zu eins übernommen. Soviel zum Thema „Qualitäts-Journalismus“. Die „Welt“ (na klar!) macht die Ausnahme, titelt „Brockhaus wehrt sich gegen Wikipedia-Vergleich“ und führt das gleiche Argument an wie ich auch: man hätte mit der 30bändigen Ausgabe vergleichen sollen. Aber macht das so einen grossen Unterschied? Wenn im gleichen Artikel Ulrich Kämper des Informationsdienstes WIND, das die Studie durchgeführt hat, schon darauf hinweist, dass die Wikipedia-Artikel oft einfach zu lang seien. Das beste wäre die Kombination von der Knappheit und Präzision des Brockhauses und der Aktualität von Wikipedia.
The case of the quality of Wikipedia may be an another argument in the discussion against thesis of Andrew Keen and his book „The Cult of the Amateur“. In polish weekly magazine „Przekrój“ some days ago there was also an article (http://przekroj.pl/index.php?option=com_content&task=view&id=3219&Itemid=103) describing the world of Web 2.0 as a culture of primitive amateurs interested only in the live of celebrities and such „content“, who can not build any quality. But the situation is not so bad – polish free daily newspaper Metro on the 5th of December published officialy a big supplement which was all edited by the bloggers (http://www.blog.mediafun.pl/foto/2007-12/metroblox.pdf). So the internet is not as wild and worthless as it is sometimes described 🙂 Sorry for the english, but my german is mostly Google translate based 😉