Alle Beiträge von Peter Haber

Philipp Melanchthon in Budapest

Eigentlich wollen und können wir hier im Weblog von hist.net nicht den Anspruch haben, auch nur auf die wichigsten Digitalisierungsangebote im Netz hinzuweisen. Unsere Kollegen von Archivalia, Adresscomptoir oder auch ClioWeb machen das fundierter und mit mehr Ausdauer. Hin und wieder aber wollen wir doch etwas aufgreifen, was uns speziell aufgefallen ist oder das zu einem Themengebiet gehört, das auf hist.net speziell gepflegt wird – etwa die ungarische Geschichte.

Unser Hinweis also deshalb auf die Magyar Elektronikus Könyvtár (MEK) – die elektronische ungarische Bibliothek. Betrieben wird sie von der ungarischen Nationalbibliothek und in den letzten Monaten ist der Bestand an digitalisiertem Material extrem angewachsen. Wer sich per RSS über die Neueingänge informieren lässt, wird Woche für Woche rund ein bis zwei Dutzend neue Digitalisate im Netz vorfinden. Dabei wird ein bunter – und sehr pragmatischer – Methodenmix pratktiziert. Da gibt es von der farbig eingescannten Seite bis zum abgetippten Text alle Varianten – für die Forschung aber ist das Material in aller Regel brauchbar, weil auf korrekte Metadatierung geachtet wird. Der Anteil deutschsprachigen Materials ist zwar nicht umwerfend (aktuell: 122 Einträge) aber hin und wieder findet sich auch für den der ungarischen Sprache unkundigen Forscher etwas, zum Beispiel «Ein christliche Ermanung … an den … König Ferdinandum» von Phlilpp Melanchthon, gedruckt von Friedrich Peypus in Nürnberg im Jahre 1529. Unsere Empfehlung: ausprobieren und ungarisch lernen!

Collection «Le Savoir Suisse»

Heute Nachmittag bei einem Spaziergang in Genf in der Buchhandlung Payot entdeckt: Le Savoir Suisse, eine hübsch gemachte Buchreihe, die mit dem Anspruch antritt, das Wissen der Schweiz in ein paar Dutzend kleinen, handlichen Büchlein abzubilden. Natürlich mit einem Augenzwinkern. Und vielleicht – aber das ist nur eine Vermutung – mit einer stillschweigenden Referenz auf die Abenteuer der Encyclopédie der Société Typographique de Neuchâtel, die Robert Darnton so wunderbar beschrieben hat …?

Karl Kraus online

Karl Kraus, von Paul Jandl in der NZZ als «Vorfahr aller Blogger» bezeichnet, ist seit kurzem mit 22’500 «Fackel»-Seiten online. Nach einer kostenlosen Registration kann man sich die «Fackel» auf den Bildschirm zaubern und sich online an der Kraus’schen Sprachmächtigkeit delektieren! Eine schöne Zusammenstellung von Material im Netz über Karl Kraus gibt es hier.

Mozart online

Die ZEIT berichtet in ihrer neuesten Ausgabe, dass seit einigen Wochen sämtliche Partituren Mozarts online sind (der Artikel ist nicht online). Gesponsert vom Packard Humanities Institute wurden alle 23’000 Notenseiten ins Netz gestellt und mit Zusatzmaterial angereichert. Für die Mozartforschung eine ziemliche Sensation, für den Bärenreiter Verlag, der die Noten bisher in gedruckter Form vertrieben hat, eine mittlere Katastrophe. Die Packard Stiftung habe dem Verlag 400’000 Dollar «Schadensregulierung» bezahlt, schreibt Die ZEIT. Allerdings – und das ist das spannende an der Geschichte – seien die elektronischen Rechte bislang so unklar definiert gewesen, «dass wir nicht die stärkste Position hatten», zitiert das Blatt den Verlagsleiter von Bärenreiter, Wendelin Göbel. Fazit: Auch manch ein Verlag, der sich mit Texten – zum Beispielen historischen – ganz gut über Wasser zu halten weiss, könnte demnächst in Bedrängnis geraten, wenn dank EU-Geldern flächendeckend digitalisiert wird.

Aus dem OPAC direkt in BibSonomy

Meine Lieblingsliste Inetbib meldete gestern, dass der Kölner Universitäts-Katalog ab sofort die Möglichkeit bietet, bibliographische Daten eines gefundenen Buches direkt per Mausklick zu Bibsonomy zu senden:

Der Koelner UniversitaetsGesamtkatalog (KUG) […] verfuegt seit heute ueber eine Verbindung zu dem ’social bookmark and publication sharing system‘ BibSonomy. Von einem Einzeltreffer oder einem Merklisteneintrag koennen nun ueber ein Share-Icon per Klick direkt aus dem KUG heraus die relevanten bibliographischen Daten des Titels an BibSonomy gesendet und dort weiter praezisiert sowie abgespeichert werden. BibSonomy wird von der Knowledge and Data Engineering Group der Universitaet Kassel entwickelt und betrieben, die mit BibSonomy auch im europaeischen Projekt TAGora involviert sind. Mit dem Aufbau und dem Austausch von Bibliographie-Listen ausgehend von einem OPAC oder Recherche-Portal (bei uns ist das der KUG) im Kontext einer Social-Software (wie hier BibSonomy) stehen dem Nutzer durch die Kombination weitere Nutzungsmoeglichkeiten offen und er kann
von dem Mehrwert profitieren (bzw. zu diesem selbst beitragen), der durch Social-Software generiert wird.

Cool! Das ist ganz ähnlich dem Konzept, das wir mit Lit-Link verfogen: Bibliographische Daten per Mausklick in die eigene Bibliographie zu befördern. Bei Lit-Link haben wir dies mit dem Plugin XMLdump gelöst, das bereits einige der grossen Bibliothekskataloge «auslesen» kann. Soviel sei schon verraten: Bald werden es mehr und auch ganz andere Kataloge sein, aus denen sich per Mausklick Daten in Lit-Link exportieren lassen!

Rottweiler piesackende Rehpinscher

Die Sonntagszeitung bringt in ihrer heutigen Ausgabe ein ausführliches Dossier zum Thema Weblogs. Die Aufmachergeschichte ist überschrieben mit «Der Rehpinscher piesackt den Rottweiler. Ein Medienblog schaut der ‚Bild-Zeitung‘ erfolgreich auf die Finger». Oliver Zihlmann beschreibt die spannende Geschichte des BILDblog.de, das heute, so Zihlmann, zur «Avantgarde der Medienkritik im Internet» gehört. Interessant der Hinweis, dass der Weblog-Boom bereits seinen Zenit überschritten haben könnte. Nebst dem täglichen Kampf gegen Spamfluten in den Kommentarfeldern ist es auch schlicht der von vielen unterschätzte Aufwand, der viele Weblogger der ersten Stunde zum Aufgeben veranlasst hat, schreibt die Sonntagszeitung und verweist auf einen Bericht von ZDF.de. Bleibt abzuwarten, ob dieser Trend, der bei den massenwirksamen Weblogs zu beobachten ist, das eben erst aufkeimende Häufchen von (geschichts-)wissenschaftlichen Weblogs auch dezimieren wird.

Das Schreiben der Geschichte

Michel de Certeau legte in seinem 1975 erschienenen Buch «L’écriture de l’histoire» (dt. 1991: «Das Schreiben der Geschichte») nichts weniger als eine «Ortsbestimmung der Geschichtsschreibung» (Klappentext) vor. «Was fabriziert der Historiker, wenn er ‚Geschichte macht‘? Woran arbeitet er? Was produziert er?» fragte de Certeau einleitend zum Kapitel «Die historiographische Operation».

Auch im Schreib-Guide Geschichte von Wolfgang Schmale geht es um die historiographische Operation – wenn auch in einem konkreteren Sinn als bei de Certeau. Der soeben neu aufgelegte und wesentlich erweiterte Schreib-Guide gehört eigentlich auf die Lektüreliste eines jeden angehenden (und auch gestandenen) Historikers. Das Buch thematisiert nämlich einen Bereich der Geschichtswissenschaft, über den gerne nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird: den Prozess des Schreibens.

Historiker produzieren ihr symbolisches Kapital fast ausschliesslich mit Hilfe von Texten. In den letzten Jahren indes hat sich dank Computerisierung und Vernetzung in diesem Bereich einiges geändert. So ist es Schmale und seinem Team hoch anzurechnen, dass in der Neuauflage ein vollständig neues Kapitel zum Thema «Schreiben für das WWW: Bloggen und Hypertexten» aufgenommen wurde. Die beiden Wiener Historiker Jakob Krameritsch und Martin Gasteiner führen auf knapp vierzig Seiten sehr gut und auch für Nicht-Experten bestens nachvollziehbar in die Spezifika des historischen Online-Schreibens ein. Sie charakterisieren einerseits das Weblog als Medium der historischen Fachkommunikation und erläutern andererseits die schreibrelevanten Aspekte eines Hypertextes.

Bleibt zu hoffen, dass auch das Schreiben für Wikipedia in der nächsten Auflage Einzug in den Guide erhalten wird. Auch die ganze Frage der elektronischen Literatur- und Exzerpteverwaltung – Stichwort: Lit-Link – ist im Buch ein wenig zu kurz gekommen. Aber ansonsten: Für alle Geschichtsstudierende die ideale Lektüre für die nächsten Semesterferien!

Public History

Die Universität Luzern lanciert einen Nachdiplomstudiengang MAS / CAS in Public History. Was damit gemeint ist, beschreiben die Initiatorin Beatrice Schumacher und die Initiatoren Valentin Groebner und Philipp Sarasin so:

Wir verwenden «Public History» für das weite Feld aller Tätigkeiten, mit denen historische Inhalte für das so genannte breite, nicht-spezialisiere Publikum erforscht, aufbereitet und vermittelt werden. Dazu zählen etwa das Schreiben von Orts- und Regionalgeschichten, von Verbands- und Firmengeschichten, historische Ausstellungen, Führungen, Stadtrundgänge, Dokumentarfilme, historische Publizisitik, Radiosendungen, usw.

Geschichte digital

Wieder einmal gilt es, eine neue Publikationen zur Situation und Befindlichkeit der Geschichtswissenschaften im digitalen Zeitalter anzuzeigen:

Hering, Rainer / Sarnowsky, Jürgen / Schäfer, Christoph / Schäfer, Udo (Hrsg.): Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Erschließung und Aufbereitung von Wissensbeständen, Hamburg 2006 (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg; 20).

Das rund 200 Seiten umfassende Buch gibt es auch komplett als digitale Edition zum kostenlos herunterladen und die Texte repräsentieren einen spannenden Mix von essayistischen Beobachtungen und konkreter Quellenarbeit. Ausführlichere Leseeindrücke folgen in Bälde!

PDF und Web 2.0

Mit dem bisherigen PDF-Format konnten wir Historiker gut leben: Wurde zum Beispiel eine Quelle, die irgendwo online im PDF-Format vorlag, zitiert, konnten wir davon ausgehen, dass dieses Dokument einigermassen „stabil“ war, das heisst, dass sie zitierbar und für historische Arbeiten verwendbar war. Mag sein, dass schon dies eine naive Illusion war, aber nun wird alles noch komplizierter. Vor wenigen Wochen hat Adobe die neue Version 8.0 von Acrobat vorgestellt und nun wird alles anders. Interaktiv. Dynamisch. Lebendig. Eben genau so, wie das Web 2.0 ist. Was bedeutet dies? Müssen wir unsere Archive umstellen? Statt PDF auf TIFF-Dateien umsteigen oder wieder zur Sicherheit alles in Papierform ablegen? Nein. Aber die Sache mit den PDF-Dateien wird komplexer. Schon heute ist es so, dass für die Langzeitarchivierung nicht das gewöhnliche PDF, sondern PDF/A verwendet wird. Das „normale“ PDF war aber für den „Normalgebrauch“ ausreichend. Das könnte sich ändern. Vielleicht schon in naher Zukunft wird es nicht mehr zulässig sein, zu archivierendes Material als „normale“ PDF-Datei abzulegen, ebensowenig wie es zulässig sein wird, PDF-Dateien aus dem Netz ohne Zeitstempel zu zitieren. Wir werden es sehen. Und vielleicht ist es ja auch so, dass sich etwas ganz anderes, etwas neues etablieren wird in diesem Bereich (via Technology Review).

Plagiatsdebatte ff.

Vor einigen Tagen habe ich hier geschrieben, ich werde Stefan Webers Buch über Plagiate und das «Das Google-Copy-Paste-Syndrom» noch vorstellen. Das dünne Buch war schnell gelesen, der schale Eindruck, den es indes hinterlassen hat, wirkte noch recht lange nach.

Weber legt mit seinem Pamphlet zweifelsohne den Finger auf einen wunden Punkt: Moral, intellektuelle Disziplin und vor allem auch wissenschaftliches Interesse vieler Studierender lassen eindeutig zu wünschen übrig. Weber überspitzt diesen Befund allerdings, wenn er daraus eine „Austreibung des Geistes aus der Textproduktion“ konstruiert und von einer „Textkultur ohne Hirn“ schreibt.

Unter dem Titel „Vorboten“ übt sich Weber gleich zu Beginn des Buches in Rundumpolemik gegen die Medienwissenschaften. Zehn Mythen meint er identifizieren zu können, angefangen bei einer „Apriorisierung“ über den angeblichen Mythos der Substitutionseffekte bis hin zur „Rhetorik der Konstruktivität“ reicht die Brandbreite der Weberschen Kollegenschelte.

A propos Kollegenschelte: Sven Grampp, Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Instituts für Theater- und Medienwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg, besprach unlängst Webers Habilitationsschrift mit dem Titel „Non-dualistische Medientheorie. Eine philosophische Grundlegung“ nicht ohne einige recht unmissverständliche Zustandsbeschreibungen der gegenwärtigen medientheoretischen Fachsimpeleien der Rezension voranzustellen:

„Schaut man sich neuere Publikationen aus diesem Bereich an, wird deutlich, dass der Avantgardegestus auch weiterhin fester Bestandteil medientheoretischer Legitimationsrhetorik ist.“ [S. 8]

Und weiter:

„‚Medienphilosophie‘ ist so eine Oppositionsmarkierung, die seit ein paar Jahren zirkuliert. Betrieben wird die Medienphilosophie vor allem von einigen philosophisch gestimmten Medientheoretikern, die das Versprechen eines Paradigmenwechsels ihrer Disziplin auch explizit und vollmundig artikulieren.“ [ebd.].

Aber kehren wir zum Plagiatsbuch von Stefan Weber zurück. Das Problem, das ich mit dem Buch oder vielmehr mit Stefan Webers Ansatz habe ist, dass ich nicht a priori davon ausgehe, dass alle Studierende faul und unehrlich sind. Für mich gilt grundsätzlich und bis ich mindestens einen konkreten Hinweis habe, dass es anders sein könnte, die Unschuldsvermutung. Ich möchte Weber auf keinen Fall unterstellen, dass er nicht auch von diesem Grundsatz ausgeht, aber ich habe vermisst, dass er dies auch klar formuliert.

Unter dem Titel „Bullshit-PR und heisse Luft: in neuen Medien und über neue Medien“ schreibt sich Weber gegen Ende des Buches seine Wut gegen die Kulturwissenschaften aus dem Bauch. Zugegeben, der folgende Absatz, den Weber zitiert, ist, um es höflich zu formulieren, ziemlich grenzwertig:

Meine transdisziplinäre Herangehensweise im Sinn einer kritischen Repräsentationstheorie verbindet Ansätze strukturaler psychoanalytischer Theorie mit Ansätzen neuerer Hegemonie- bzw. Demokratietheorie sowie der Film- und Medientheorie, der Gender- und der Cultural Studies, um Perspektiven auf aktuelle Medienkonstellationen zu eröffnen, die sich jenseits technikdeterministischer oder kulturpessimistischer Einschätzungen bewegen.*

Weber vergibt aber leider eine Chance, indem er in einem gehässigen Stil („Das Geschwafel von Transdisziplinarität […] heisse Luft statt Substanz“) zu einem Rundumschlag ausholt und es dabei leider selber hin und wieder an Substanz vermissen lässt. Er schliesst mit folgenden Worten:

Die Produktion von postmoderner heißer Luft durch eine gewisse Gruppe von Wissenschaftlern und die Reaktion mancher Studierender mit dem Google-Copy-Paste-Syndrom sind symptomatisch für die gegenwärtige akademische Kultur der Heuchelei: Copy/Paste als Reaktion auf Bullshit-Diskurse, auf gut Deutsch: die Verdopplung der Scheiße. [S. 147]

Schade. Eine differenzierte Darstellung der kulturwissenschaftlichen Diskussionskulturen – tatsächlich im Anschluss an Sokal und Bricmont, wie Weber schreibt – wäre notwendig und erwünscht. Aber wieso eigentlich in diesem aufgeregten Ton …?

Archivalien verwalten

Historiker arbeiten bekanntlich nicht nur mit gedruckten Quellen, sondern auch mit Archivalien. Erstaunlicherweise sind aber Bibliographierprogramme nicht in der Lage, Archivalien sauber zu verwalten. Das war für uns mit ein Grund, Lit-Link zu entwickeln und in der neuen Version eine eigene Eingabemaske für Archivmaterialien zu reservieren. In einem nächsten Schritt soll Lit-Link auch in der Lage sein, Einträge aus bestimmten Online-Findbüchern direkt zu übernehmen – so, wie dies bei etlichen grossen Bibliothekskatalogen bereits möglich ist mit dem Firefox-Plugin XMLdump von Florian Petran.

Historische Zeitschriften per RSS

Schon wieder die Wiener …! Der (Wiener) Kulturhistoriker Anton Tantner hat auf seinem (nicht nur für Hausnummer-Spezialisten absolut lesenswerten) Weblog namens Adresscomptoir einige geschichtswissenschaftliche Fachzeitschriften zusammengetragen, die ein RSS-Feed anbieten. Ich frage mich, wann die TOC-Dienste von H-Soz-u-Kult oder auch einiger Bibliotheken durch diese Entwicklung obsolet werden. Auf jeden Fall zeichnet sich eine Neustrukturierung des «TOC-Marktes» ab.