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secondhistory.com

Im nächsten Semester wird an der Uni Leipzig eine ziemlich spezielle Lehrveranstaltung stattfinden. Die Medienwissenschafterin Karin Wehn (siehe auch hier) hat vor einigen Tagen in einer Radiosendung auf SWR2 angekündigt, sie werde einen Kurs anbieten, der nicht im Hörsaal oder auf einer universitären eLearning-Plattform stattfinden wird, sondern auf www.secondlife.com. Secondlife.com ist eine dreidimensionale Simulationsplattform, die über das World Wide Web läuft und bereits über 3 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählt. – Was bedeutet dieser Schritt für die Geschichtswissenschaft? Was heisst Authentizität im Kontext von secondlife und wie lässt sich Geschichtlichkeit und Geschichtsbewusstsein in secondlife denken. Wird es in secondlife einen Ort der Geschichte geben, der bestehen kann, ohne auf die Geschichte im realen Leben zu rekurrieren, also bestehen kann ohne eine Konstruktion qua firstlife? Zugespitzt formuliert: Wird es in einer gar nicht mehr so fernen Zukunft eine Art von secondhistory.com geben? Affaire ? suivre …

Karl Kraus online

Karl Kraus, von Paul Jandl in der NZZ als «Vorfahr aller Blogger» bezeichnet, ist seit kurzem mit 22’500 «Fackel»-Seiten online. Nach einer kostenlosen Registration kann man sich die «Fackel» auf den Bildschirm zaubern und sich online an der Kraus’schen Sprachmächtigkeit delektieren! Eine schöne Zusammenstellung von Material im Netz über Karl Kraus gibt es hier.

Public History

Die Universität Luzern lanciert einen Nachdiplomstudiengang MAS / CAS in Public History. Was damit gemeint ist, beschreiben die Initiatorin Beatrice Schumacher und die Initiatoren Valentin Groebner und Philipp Sarasin so:

Wir verwenden «Public History» für das weite Feld aller Tätigkeiten, mit denen historische Inhalte für das so genannte breite, nicht-spezialisiere Publikum erforscht, aufbereitet und vermittelt werden. Dazu zählen etwa das Schreiben von Orts- und Regionalgeschichten, von Verbands- und Firmengeschichten, historische Ausstellungen, Führungen, Stadtrundgänge, Dokumentarfilme, historische Publizisitik, Radiosendungen, usw.

Geschichte digital

Wieder einmal gilt es, eine neue Publikationen zur Situation und Befindlichkeit der Geschichtswissenschaften im digitalen Zeitalter anzuzeigen:

Hering, Rainer / Sarnowsky, Jürgen / Schäfer, Christoph / Schäfer, Udo (Hrsg.): Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Erschließung und Aufbereitung von Wissensbeständen, Hamburg 2006 (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg; 20).

Das rund 200 Seiten umfassende Buch gibt es auch komplett als digitale Edition zum kostenlos herunterladen und die Texte repräsentieren einen spannenden Mix von essayistischen Beobachtungen und konkreter Quellenarbeit. Ausführlichere Leseeindrücke folgen in Bälde!

Aus der Welt der Wikis: Rufmord bei Wikipedia?

Nach den Blogs ist ja hier im Rahmen meiner Erörterungen der historischen Online-Kompetenz auch die Welt der Wikis zu einem Thema geworden, das auch im weiteren Sinne beobachtet werden soll.
Und hier folgt gleich eine Meldung, die bestehende Vorurteile gegenüber diesem Phänomen (oder nüchterne Einschätzungen, ja nach Standpunkt des Betrachters) auf den Punkt bringt.

John Seigenthaler ist ein geachtetes Mitglied der US-Gesellschaft, unter anderem Mitbegründer der Tageszeitung USAtoday. Mittlerweile ist er 78 Jahre alt. Monatelang war der Eintrag zu seiner Person in Wikipedia mit der Unterstellung versehen, er sei in die Morde an John F. Kennedy und seinem Bruder Robert verwickelt gewesen. Der Umstand, dass diese Aussagen nicht korrigiert wurden und es Seigenthaler auch nicht möglich war, den Urheber dieser Diffamierung ausfindig zu machen, hat ihn ein sehr kritisches Editorial in der USAtoday schreiben lassen. Damit trug er zu einem neuen Zuspitzung der Debatte bei, wie anfällig das OpenSource-Projekt für Falsch-Informationen ist. Immerhin ist im aktuellen Eintrag in Wikipedia nicht nur die Fehlinformation gelöscht, sondern der ganze Vorgang dargelegt und dokumentiert worden. Dafür sind in den letzten Tagen mehrere hundert Änderungen vorgenommen worden, teilweise, um üble Beschimpfungen wieder aus dem Artikel zu entfernen.

Bislang schien sich diese Debatte vor allem um Einträge rund um den Nationalsozialismus zu drehen, aber offenbar sind die Manipulationsfantasien (oder abweichende Meinungen) nicht auf dieses Gebiet beschränkt. Die Diskussionen haben nun den Wikipedia-Gründer Jimmy Wales erstmals zu einer Änderung der Regeln veranlasst. Ab heute, 5. Dezember 2005, können neue Einträge nicht mehr anonym angelegt werden, anonyme Änderungen sind hingegen noch immer möglich.

Die Wiki-Gemeinde befasst sich seit längerem mit dem Phänomen der Vandalen, Trolle und Geschichtsklitterer, die entweder die Offenheit von Wiki-Projekten zu ihren Gunsten ausnutzen wollen oder einfach nur Spuren hinterlassen möchten. Und insofern erstaunt es, dass nicht noch viel mehr Informationen gefälscht werden (denn bemerkt werden solche bösartigen Entstellungen nur in viel gelesenen Inhalten). Auch wenn sich die Macher von Wikipedia der Probleme sehr wohl bewusst sind: Dennoch bleibt der nicht mehr so neue Aufruf aktuell, mit gewisser Skepsis den Inhalten auf dem Internet zu begegnen.
Übrigens kämpft die Wiki-Gemeinde mit einem anderen, weniger spektakulären und schlagzeilenträchtigen, aber umso wirksameren Problem: WikiSpam. Immer öfter werden Wikis missbraucht, um Links auf Website zu setzen, die gar keinen inhaltlichen Zusammenhang mit dem entsprechenden Inhalt des Wikis haben. Es geht darum, das Suchmaschinen-Ranking, dass auf Verlinkung achtet, zu manipulieren. Das Problem gibt es übrigens auch bei Blogs. Womit der Kreis zu den Einträge der Rubrik „Suchen und Finden“ und „aus der Welt der Blogs“ geschlossen wäre.

Schliesslich steht ja bei all den Vandalen-Akten auch die Frage im Raum, woher das vandalisierte Wissen eigentlich kommt? Wer in seinem Spezialgebiet mal in Wikipedia herumstöbert, wird schnell „Handschriften“ erkennen. Einzelne Themen werden aus (oft nicht näher genannten) Publikationen abgekupfert. Abgesehen vom Problem der fehlenden Zitation (oder schlicht des Plagiats): So werden in einer Gesellschaft, die sich nur auf Google und Wikipedia verlässt auch wissenschaftliche Wahrnehmungen beeinflusst.

Literatur