Das «Digital Native»-Missverständnis, again

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Vor ein paar Tagen bin ich über eine Meldung gestolpert, wonach eine australische Dozentin (namens Jacqui Ewart) in einer medienwissenschaftlichen Veranstaltung die Studierenden zum Twittern über ihre Lernfortschritte verpflichtete und erstaunt feststellte, dass rund ein Drittel der Studierenden darüber gar nicht entzückt waren. Viele von ihnen hielten das für Zeitverschwendung. Passend dazu verlinkte der Beitrag bei Spiegel online auf Nachricht zu einer Studie eines 15-jährigen, der feststellte, dass seine Freunde Twitter gar nicht nutzen. Was ist los mit den Digital Natives? Oder ist es eher ein Problem des Begriffs „Digital Native“?

Unbestreitbar ist die Tatsache, dass Jugendliche heute in einer Welt aufwachsen, zu der digitale Medien als selbstverständlicher Bestandteil dazugehören. Das „Digital Native“-Missverständnis liegt (wie hier schon mehrfach diskutiert) in der groben Verallgemeinerung zu einer homogenen Gruppe und der etwas kurz gegriffenen Unterstellung, durch das Aufwachsen in einer Welt voller digitaler Medienangebote können die Jugendlichen gar nicht anders, als alle diese Angebote umfänglich und folglich auch kompetent zu nutzen.

Gerade an Twitter lässt sich das Missverständnis beobachten. Wer twittern will, braucht ein Eingabegerät, einen Internet-Zugang sowie Zeit und Anlass, Tweets abzusetzen. Nun, die Jugendlichen, die ich kennengelernt habe, gehen entweder zur Schule oder lernen für die Schule – beides in der Regel (noch?) offline. Und wenn sie kommunizieren wollen, tun sie dies kaum mit einer anonymen Masse von „Followers“, sondern mit bekannten Mitgliedern ihrer Peer-Group. Twitter ist doch eher eine Anwendung für Bildschirmarbeiter/innen, die mal Abwechslung benötigen – eine Art digitale Rauchpause, sei es, um neuste Infos zu erhalten oder solche in die Welt zu setzen.

Ob (bzw. wie) Twitter die Art und Weise des journalistischen Handwerks verändert, bleibt abzuwarten. Es erscheint jedenfalls durchaus sinnvoll, das in einem Studiengang für angehende Journalist/innen Twitter thematisiert und auch ausprobiert wird. Doch bleibt zu berücksichtigen, dass auch die so genannten „Digital Natives“ nicht alle von den Möglichkeiten digitaler Medien begeistert sind und auf die obligatorische Nutzung digitaler Medien im Schul-Unterricht und Hochschul-Veranstaltungen reserviert bis ablehnend.

Dabei richtet sich die Ablehnung nicht unbedingt gegen die digitalen Medien als solche, sie kann auch eine Reaktion auf eine didaktisch nicht überzeugenden Einsatzvariante im Unterrichtsszenario sein. Dann etwa, wenn die Studierenden sich mit zusätzlichem Aufgaben-Kram belastet werden, deren Sinn und Nutzen sich ihnen nicht erschliesst. Dies gilt gerade für den Einsatz Weblogs, Wikis oder Twitter: wenn die Studierenden Lernprozesse dokumentieren und explizit machen sollen, oder wenn sie verpflichtet werden, mit anderen Kurs-Teilnehmenden in Interaktion zu treten. Oft widerstrebt es Schüler/innen oder Studierenden auch einfach, Anwendungen digitaler Medien aus der Privatsphäre auch im Unterricht zu nutzen – sie machen da zuweilen eine feine, für sie wichtige Distinktion zwischen diesen Sphären.

Solche Beobachtungen sind unter dem Aspekt, wie Web 2.0-Anwendungen sinnvoll in der Hochschul-Lehre eingesetzt werden kann, durchaus zu berücksichtigen. Anwendungen, die wissenschaftliches Arbeiten (wie von Kollega Haber im Beitrag zum „Forschenden Lernen“ aufgeworfen) in den Mittelpunkt der Mediennutzung stellen, erfahren hier (dies als These) möglicherweise eine höhere Akzeptanz.

2 Gedanken zu „Das «Digital Native»-Missverständnis, again“

  1. Es ist jetzt wirklich nichts neues, dass Studenten (und so ziemlich jeder andere Mensch) sich ungerne bei geistiger Arbeit über die Schulter schauen lassen. Und gerade wenn dann noch der eigene Prof mitliest, ist fehlende Begeisterung die logische Konsequenz. Bei meiner aktuellen Hausaufgabe sähen die Tweets dann folgendermaßen aus:

    „Motivationsprobleme. Ich sollte mal anfangen“
    „Immer noch Motivationsprobleme, surfe lieber auf Reddit“
    „Ok, ich fange an“
    „Mache mir erstmal einen Kaffee“
    „Gut, die Texte sind ausgedruckt, jetzt muss ich sie nur noch lesen“
    „Bäh, die Literatur ist dumm und schwafelt zu viel“
    und so weiter

    (und ganz am Rande ist es natürlich auch etwas dumm, die Studenten ihre Probleme beim Schreiben auf 140 Zeichen quetschen zu lassen. Bei aller Twittermanie, ein Blog wäre ein sinnvolleres Format für diese Art Übung)

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