HOK: Lesen – Vom Suchen und Finden VI: Google-Sucht und Google-Syndrom

Die Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ nimmt in der Ausgabe 46 vom 17.11.2005 reisserisch ein Thema auf, dass bereits Anfang Oktober in der Zeit abgehandelt worden war. „Suchtmaschine Google“ heisst es da auf der Titelseite, „Fluch und Segen der Wissensmacht“, während der Artikel selber mit „World Wide War“ betitelt wird. So tragen die Journalisten (allesamt selbst gute Kunden von Google) zur dauernden Bedeutungshysterie um diese Suchmaschine bei, die nach eigenem Bekunden die Informationen dieser Welt organisieren und für alle verfügbar und nutzbar machen will.

Google ist vor allem ein Beispiel für ein gelungenes Geschäftsmodell: einen zentralen, nützlichen Dienst umsonst und in hoher Qualität anbieten, diesen laufend mit Zusatzdienstleistungen ausbauen und das ganze dezent mit Werbung finanzieren, die nur im „Erfolgsfall“ von den Werbe-Kunden bezahlt werden muss. Alles möglich dank Algorithmen, die clever Worte in aufgefundenen Texten sowie die Informationen über die Fundorte miteinander vergleichen können. Google bietet bei Suchanfragen Ergebnislisten, die schnell zum Ziel führen: zur „eigentlichen Information“ (was immer das gerade ist) ebenso wie zum Produkt, dass gut zu dieser Information passen könnte. Wer nach „Ferien Kinder Adelboden“ sucht, erhält eine nette Werbung zu Kinderhotels.de.

Was bringt das nun für die wissenschaftliche Arbeit, oder konkreter: für die Historische Online-Kompetenz. Fluch oder Segen? Zunächst einmal: Google ist ein beeindruckendes Werkzeug. Dennoch: Peter Haber (in vom Nutzen und Nachteil des Internets für die Geschichtswissenschaften“) spricht zurecht von einem „Google-Syndrom“, weil sich gleich mehrere Anzeichen eines Misstandes häufen. Die wichtigsten:

  • Google verwischt die „Genealogie des Wissens“: Jede Information wirkt in der geordneten Auflistung gleich und gleichwertig. Doch Wissen entsteht nie wertfrei und unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen und mit verschiedenen Interessen.
  • Die Suche mit Google ist einfach – zu einfach? Jeder User findet zu jeder Frage irgendetwas. Aber ist es das, was er oder sie suchte? Das Googlesyndrom befördert nicht nur den Hang zum Copy/Paste-Verhalten, sondern vermindert auch die Motivation, alternative Suchstrategien zu erproben und über die Art und Weise von Recherche-Techniken im Internet nachzudenken.

Literatur:
Haber, Peter: „“Google-Syndrom”. Phantasmagorien des historischen Allwissens im World Wide Web“, in: ders., Epple, Angelika (Hg.): Vom Nutzen und Nachteil des Internet für die historische Erkenntnis. Version 1.0, Zürich: Chronos 2005 (Geschichte und Informatik, Vol. 15/2004), S. 73-89

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert