Medienhandeln Jugendlicher

Medienhandeln Jugendlicher

Der Bielefelder Erziehungswissenschafter Klaus Peter Treumann hat mit seinem Team letztes Jahr den Schlussbericht eines grossen mehrjährigen Forschungsprojekts zum jugendlichen Medienhandeln publiziert. ((Treumann, Klaus Peter; et al.: Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz: Bielefelder Medienkompetenzmodell, Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. 2007.)) Über 3600 Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren wurden darüber befragt, wie sie im Alltag Medien nutzen. Dabei wurden die Fragen nach dem Bielefelder Medienkompetenz-Modell gegliedert: Sie zielten auf instrumentelle Medienkenntnisse, auf Kenntnisse des Mediensystems, auf Medienkritik und Mediengestaltung und zwar in den „alten“ Medien ebenso wie in den „neuen“.

Im Ergebnis bestätigt die Studie den Eindruck, den ich im Umgang mit Jugendlichen und Studierenden gewonnen habe: einige können sehr kompetent mit Neuen (und alten) Medien umgehen, andere nicht. Die Kompetenzen sind dabei sehr unterschiedlich verteilt, es gibt also nicht einfach ein Gruppe von Kompetenten und eine von Inkompetenten.

Die Untersuchung bildete mit einer Clusteranalyse ((ein mehrschrittiges statistisches Verfahren, bei dem (vereinfacht formuliert) die Antworten der Probanden so gruppiert werden, dass möglichst viele Eigenschaften innerhalb der Gruppe gleich und von anderen Gruppen möglichst verschieden sind)) sieben Typen der jugendlichen Medien-Nutzung, die hier nur sehr verkürzt in der Gegenüberstellung der Autor/innen dargestellt werden. In Klammern wird die Häufigkeit der jeweiligen Gruppen angegeben. ((Vgl. Kapitel 6, Typologie jugendlicher Mediennutzer – Profile von Medienkompetenz/Medienhandeln Jugendlicher in Treumann, Klaus Peter; et al.: Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz: Bielefelder Medienkompetenzmodell, Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. 2007, S. 195-215))

„Allrounder“ (12%) vs. „Deprivierte“ (7.8%)
„Allrounder“ und „Deprivierte“ bilden sozusagen die Eckwerte: die extremen Ausprägungen der Mediennutzungstypen. Die Allrounder sind in allen Dimensionen der Medienkompetenz überdurchschnittlich: Sie nutzen alte und neue Medien auf verschiedene Art und Weise, zur Recherche, zur Unterhaltung, zur kreativen Gestaltung eigener Inhalte. Sie wissen viel über Medien und sie setzen sie reflexiv ein.
Ihnen gegenüber stehen die Deprivierten, die kaum Medien nutzen, und wenn, dann konsumieren sie audiovisuelle Inhalte (Filme, TV). Sie wissen wenig über die Medien, können Probleme mit Medientechnik kaum selber lösen und sind ihnen gegenüber wenig kritisch.

Bildungsorientierte (20.4%) vs. Positionslose (20.3%)
Ein weiteres, ähnlich gegensätzliches Paar bilden die Bildungsorientierten und die Positionslosen. Die Bildungsorientierten gleichen den Allroundern. Sie geben den traditionellen Printmedien den Vorzug vor audiovisuellen Medien und setzen die Medien weniger zu Zwecken der Unterhaltung einsetzen. Anders als die Allrounder sehen sie aber mehr Bedarf bei der Reglementierung der Medien.
Anders die Positionslosen: Sie konsumieren viel Medien, vor allem audiovisuelle. Sie unterscheiden sich von den Deprivierten vor allem durch ihre ausgiebigere und selbstverständlichere Nutzung der Medien, die sie besser beherrschen. Sie sind den Medien gegenüber ebenfalls unkritisch (wie die Deprivierten).

Konsumorientierte (17.4%) vs. Kommunikationsorientierte (19.1%)
Ein weiteres, leicht anders definiertes Paar bilden die Konsumorientierten und die Kommunikationsorientierten. Die Konsumorientierten nutzen die Medien, zu denen die sie über viel Wissen verfügen, vor allem rezeptiv. Sie haben aber wenig Kompetenzen zum Bewältigen von technischen Problemen. Die Kommunikationsorientierten hören beispielsweise viel Musik, speichern sie (anders als die Konsumorientierten) aber nicht. Bei technischen Problemen suchen sie Hilfe bei Experten. Mobiltelefonie spielt eine wichtige Rolle. Die eigenen Inhalte sind eher sprachlicher als audiovisueller Natur.

Gestalter (3.1%)
Die Gestalter stechen durch ihre ausserordentliche kreative Nutzung der Medien hervor, vor allem der Neuen, aber auch der alten Medien. Interessanterweise wissen sie aber nicht sehr viel über die Medien, die sie benutzen. Das zeigt,

dass der im medienpädagogischen Sinne geschätzte kreative Umgang mit Medien keineswegs automatisch zu entsprechendem Hintergrundwissen führt. (S. 206-207)

Anmerkungen

Was m.E. leider fehlt, ist eine Verteilung der Mediennutzungstypen nach Alter, denn es ist durchaus vorstellbar, dass sie sich mit zunehmendem Alter verändern, dass also aus Konsumorientierten Allrounder werden oder aus Kommunikationsorientierten Bildungsorientierte.

Die Untersuchung erhebt (in diesem Teil) auch nicht die tatsächliche Kompetenz der befragten Jugendlichen, sondern nutzt das Modell der Medienkompetenz zur Herstellung der Fragebogen und zur Auswertung. Was die jugendlichen Allrounder oder Kommunikationsorientierten tatsächlich können, wird nicht ersichtlich.

Allerdings geben die detailliert dargestellten Einzelinterviews mit 33 typischen Vertreter/innen der sieben Mediennutzungstypen einen ausgiebigen Einblick in das konkrete alltägliche Medienhandeln der Jugendlichen. Hier werden die verschiedenen Typen auch noch einmal konkreter beschrieben.

In der Typologisierung der jugendlichen Mediennutzung wird keine Unterscheidung aufgrund der Nutzung neuer oder alter Medien vorgenommen. Trifft folglich Schulmeisters Vermutung zu (siehe Blogeintrag zur Net Generation), dass der Umgang mit den digitalen Medien einfach ein zusätzliches Element allgemeinen Medienhandelns ist? Die Studie von Treumann scheint ihm recht zu geben. So ist einerseits das Fernsehen bei den Jugendlichen das beliebteste Medium, gefolgt vom Radio. Andererseits stellen Treumann et al. bei der Internet-Nutzung fest:

Die grundsätzlichen Interessen der Jugendlichen werden mit den Neuen Medien fortgeführt und erweitert – verändert werden sie in der Regel nicht. (S. 673)

Was heisst das nun für die Praxis geschichtswissenschaftlicher Lehre und Forschung? Soll man sich bei der Studienplatzvergabe einfach an die Bildungsorientierten und Allrounder halten? Oder muss man den Konsumorientierten mal tüchtig den Marsch blasen und zeigen, dass Wissenschaft jenseits von Google und Wikipedia stattfindet? Oder schaffen die es gar nicht an die Universität? Darauf würde ich nicht hoffen. Und weiter: Gibt es unter den genannten Typen „geeignete“ oder „ungeeignete“ für die Geschichtswissenschaft? Oder betreiben die verschiedenen Medientypen unterschiedliche Formen der Geschichtswissenschaften? Oder mittet sich (gute Uni-Ausbildung sei dank) alles in einem „wissenschaftlichen“ Mediennutzungstypus ein? Und wie wäre der zu beschreiben?

Fakt ist, dass wir auf Hochschulebene mit einer grossen Heterogenität rechnen müssen, was die Medienerfahrungen und Medienkompetenzen der Studienanfänger betrifft.

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