1968, das war nicht nur das Jahr der Studentenrevolte und des Prager Frühling, 1968, das war auch eine Zeit, in welcher der Glaube an die Zukunft noch ungebrochen war. Eine Zeit vor dem Erdölschock, aber mit viel Kybernetik und Technik. Und es war eine Zeit der Visionen.
Eines der schönsten Zeitdokumente jener Zeit, das ich kenne, heisst schlicht «Report 1998. So leben wir in 30 Jahren». Da wir 1998 leider noch kein Weblog hatten (wieso eigentlich nicht, Kollega Hodel …?), hole ich nun jetzt, zehn Jahre zu spät, nach, was ich vor zehn Jahre hätte tun sollen. Nämlich das Buch mit kritischem Blick durchblättern.
Ins Auge sticht uns Computer-Aficiados natürlich ein Kapitel, das mit «Computer treten die Weltherrschaft an» überschrieben ist. Es sei nicht einfach, einzelne Errungenschaften zu erfassen, vielmehr gehe es um die entscheidenden Tendenzen für die Zukunft, lesen wir.
Und eine solche entscheidende Tendenz sei die «die Entwicklung der Kybernetik, der Wissenschaft von den Steuerungs. und Regelvorgängen in Technik, Biologie und Soziologie.» Schon damals – also 1968 – sei von einer «Zweiten Industriellen Revolution, vom Computerzeitalter oder vom Zeitalter der Automation» die Rede gewesen.
Die Automation werde die Büros erfassen und in den nächsten Jahren werden sich die Investitionen in Computer vervielfachen. Der Bericht nennt auch gleich enige Arbeitsbereiche, in denen die Computerisierung besonders wirkungsmächtig zu werden verspricht:
- «Bibliotheken und Strafgerichter automatisiert
- Elektronik beim Arzt, in der Schule …
- .. im Haushalt und in der Bürokratie
- Die Zeitung wird zu Hause gedruckt
- Elektronisches Schlaraffenland?»
Weil es so gut passt zu den Berichten, die wir an dieser Stelle so gerne aus der Welt der Bibliotheken bringen, hier ein kurzer Ausschnitt zum Thema automatisierte Bibliotheken:
«Sie dürfen sich das Verfahren nicht so vorstelllen, liebe Leser, dass da einfach auf einen Knopf gedrückt wird und das Fliessband dann das gewünschte Buch bringt. Die Automation bietet wesentlich mehr! Der Computer kann also in einem unvorstellbaren Tempo auch lesen, aussuchen und schreiben. Es genügt, ihm mit einer Literaturliste bestimmte Stichwörter einzugeben – und schon kommen vom Fliessband fertiggedruckte Buchauszüge. Es wird dann praktisch überflüssig, Bücher in der heutigen Form überhaupt noch zu drucken.»
Quelle: Gehmacher, Ernst: Report 1998. So leben wir in 30 Jahren, Stuttgart 1968 (= hobby-Bücherei), S. 88.
Ja, wieso eigentlich hatten wir keinen Weblog im Jahr 1998? Wahrscheinlich hatte ich den Kopf woanders… Sorry. Daran, dass die Technologie, die unserem Blog zugrunde liegt (WordPress), erst im Jahre 2003 erfunden wurde, kann es nicht liegen. Denn findige Historiker finden ja immer einen Weg in die Zukunft, wie dieses wunderschöne Dokument belegt. Und das kommt 10 Jahre später auch so richtig schön zur Geltung. Warum scannt Google eigentlich diese Schätze nicht im grossen Masstab ein???