«Web 2.0 und Geschichtswissenschaft» in Siegen (III): Nachlese

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Rüdiger Hohls hat im Docupedia-Blog einen ausführlichen Kommentar zum Thema der Siegener Tagung veröffentlicht. Darin geht er auf verschiedene grundsätzliche Probleme der Tagung ein: So stellt er die Frage (die ich mir auch gestellt habe), wieso es im Titel der Tagung «Geschichtswissenschaft» und nicht «Geschichte» oder wenigstens «Geschichtswissenschaften» geheissen hat. Mit «Geschichte» hätte man das Feld von Anbeginn öffnen und auf die in Siegen sehr präsenten Themenfelder Geschichtsvermittlung und «laienhistorisches Engagement» mit einbeziehen können, «Geschichtswissenschaften» indes hätte die «epochalen, regionalen und thematischen Spezialisierung[en]» des Feldes angemessener berücksichtigt.

Spannend auch die Beobachtung von Hohls (einem bekennenden Web-Eins-Nuller), dass sich entlang «einer imaginären (generativen) Grenze […] ein Graben zwischen experimentierfreudigen Enthusiasten und zurückhaltenden Praktikern der historischen Fachinformation zu verlaufen» scheint. Ob die Grenze wirklich so imaginär ist und das Wörtchen «generativ» wirklich in Klammern gesetzt gehört, wagen wir vorsichtig anzuweifeln …

So wie ich die gegenwärtigen Diskussionen interpretiere, werden zur Zeit die geschichtswissenschaftlichen Karten im Netz neu verteilt und dabei stehen sich die technisch-organisatorische Macht der grossen Gedächtnisinstitutionen den agilen, netzaffinen Aktivisten gegnüber. Da gibt es natürlich auch durchaus Demarkationen mit generativen Ausprägungen. Es geht dabei aber letztendlich – wenig überraschend – primär um Reputation, Visibilität und diskursive Machthoheit. Neu an der Situation ist, dass bei diesem Verteilwettbewerb Geld zwar eine Rolle spielt, aber nicht mehr eine so entscheidende, wie bei den «Web 1.0»-Projekten der späten 1990er Jahre.

Eine weitere sehr bedenkenswerte Anmerkung von Hohls zielt auf den vor allem von mir geforderten Einbezug des Umganges mit «Web 2.0» in die curriculare Entwicklung an den Universitäten, die er gerne lieber in entsprechenden Studiengängen wie «Public History» oder «Fachjournalistik Geschichte» versorgen würde. Dem stimme ich im Grundsatz zu, bin aber der Meinung, dass ein minimales Orientierungswissen, gekoppelt mit einigen eigenen praktischen Erfahrungen im Umgang mit «Web 2.0», heute condiciones sine quibus non sind für ein fundiertes Geschichtsstudium. So, wie wir uns zehn Jahren dafür einsetzen mussten, dass die heute selbstverständlich gewordenen Kulturtechniken des «Surfens» und die Verwendung von E-Mail in geschichtswissenschaftlichen Einführungskursen thematisiert werden konnte, sollte es auch heute mit den neueren Entwicklungen gemacht werden. Wir sollten die generativen Grenzen im Umgang mit neuen Techniken nicht zwingend immer wieder reproduzieren.

Einige kürzere Hinweise auf die Tagung mit zum Teil sehr wertvollen Hinweisen aus archivischer Sich hat Kollege Thomas Wolf von Archivalia zusammengestellt. In der Tat steht die Frage im Raum, wie Archivare auf die zu erwartenden Forderungen der Geschichtswissenschaft reagieren sollten. Wir möchten bei dieser Gelegenheit auf Bemühungen von Christian Keitel vom Landesarchiv Baden-Württemberg hinweisen, die ohne Zweifel Vorbildcharakter haben dürften. Keitels Notiz zeigt aber auch, dass es nicht nur an den Archivaren liegt, aktiv zu werden. Auch wir Historikerinnen und Historiker sind gefordert.

Auch Wolf geht auf die Frage ein, wie es nun mit den Ideen und auch dem Schwung, der durch die Tagung in die Diskussion gekommen ist, weiter gehen soll. Rüdiger Hohls hat auf der Tagung bemerkt, der Ball liege nun bei den Veranstaltern. Wir hoffen dass sie den blogosphärischen Steilpass aufnehmen und den Ball weiter rollen lassen.

Patrick Sahle hat übrigens eine Präzisierung meiner Beurteilung seiner Ausführungen als «realitätsfern» gebeten. Korrekt zitiert müsste es heissen «ebenso faszinierend wie realitätsfern», was hätte klar machen sollen, dass Sahle mit seiner Realitätsferne eben genau das «Feu sacré» für das Thema herbeigezaubert hat, was den meisten Archivaren – Sahle ist nicht Archivar – zum Beispiel in Regensburg nicht wirklich gelungen ist.

Und noch zum Bild: Inspiriert von Jürgen Beine haben wir uns in Wikisource umgesehen, wo wir auch fündig geworden sind.

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