Auf ein Beispiel, das Erik Möller in seinem Buch „Medienrevolution“ für die Arbeistmöglichkeiten bei Wikipedia anführt, bin ich besonders aufmerksam geworden, da es schön in meine laufenden Überlegungen zu geschichtsdidaktisch sinnvollen Arten der webbasierten Kollaboration gepasst hat.
„Gelegentlich kommt es zu konzertierten Aktionen, so machte etwa eine Vereinigung Schweizer Schüler die deutschen Wikipedia-Seiten über den winzigen Inselstaat Nauru (ca. 13.000 Einwohner) zu den wohl ausführlichsten, die es über dieses Land je in einer Enzyklopädie gegeben hat – allein der Hauptteil hat über 44.000 Zeichen, einschließlich Klimadiagramm, Bevölkerungspyramide, Bezirksübersicht, vielen Fotos aus Nauru und einer Darstellung der nauruischen Gewaltenteilung. Über jeden Präsidenten Naurus gibt es einen eigenen Artikel, ebenso über jeden Wahlkreis und jeden Bezirk.“
(Erik Möller, Medienrevolution, Hannover 2005, S. 179 – zitiert nach dem Eintrag in Beats Biblionetz)
Das klang interessant und hätte vielleicht sogar ein Hinweis sein können auf einen innovativen Unterricht, der diesen Effort unterstützt oder zumindest angeregt hätte. Zumindest war es ein Beleg für eine kollaborative Leistung, die zur Nachahmung empfohlen werden konnte (was Erik Möller wohl auch beabsichtigte).
Ich recherchierte bei Wikipedia und versuchte herauszufinden, wer da hinter diesem Wikipedia-Eintrag zu Nauru steckte. Schnell einmal identifizierte ich einen User namens „CdaMVvWgS„. Hinter dieser Abkürzung, die für „Club der am Montag Vormittag vom Wahnsinn getriebenen Schueler“ steht, verstecken sich eine nicht näher zu bestimmende Zahl von Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums am Münsterplatz in Basel (wo ich selbst einmal meine Matur, sprich: mein Abitur gemacht habe). Die Gruppe scheint laut den Angaben auf der eigenen Website nicht mehr aktiv zu sein, der Wikipedia-User CdaMVvWgS ist es aber noch. Eine ältere Seite der User-Beschreibung in Wikipedia liefert schliesslich Aufschluss:
„Am 13. Dezember 2003 eröffnete eines unserer Mitglieder das Benutzerkonto hier […]. Bis Ende Januar 2004 waren verschiedenste Mitglieder hier am Werk (einer schrieb z.B. den Anfang von Malcolm X).
Mitte Januar wurde auch ich, der „Präsident“ des Clubs, durch einen Hinweis des Kontoeröffners auf die Wikipedia aufmerksam und, fasziniert von dem Projekt, fing ich sogleich an, mich eingehender daran zu beteiligen. Währenddessen legten die anderen Mitglieder ihre Tätigkeit ab, doch ich machte immer weiter – bis heute, und bin als einziger des CdaMVvWgS hier verblieben; ich gründete das Portal Nauru und erweiterte den Länderartikel Nauru bis zur Exzellenz.
Warum ich so Nauru-engagiert bin? Ich musste im Frühjahr 2003 ein Referat über ein Entwicklungsland schreiben; da ich schon immer interessiert in Ländergeografie war, war ich mir der Existenz Naurus und dessen Reichtum bewusst. Umso erstaunter war ich, als ich Nauru in der Liste der Entwicklungsländer fand. So brachte ich ein anständiges Referat hin, ohne grosses Vorwissen. Im Juni 2004 wiederholte ich dieses Referat.
Als ich dann sah, dass der Nauru-Artikel hier schäbig kurz war, packte ich zuerst mal mein Referat hier rein.“
Das bestätigt halt leider zunächst einmal die Vorurteile aller Wiki-Nörgler, die ohnehin davon ausgehen, dass Wikipedia lediglich von Schülerinnen und Schülern abgeschriebenes Lexikonwissen beinhaltet. Was mich jedoch enttäuscht: Es handelt sich um einen (mit guten Selbsbewusstsein ausgestatteter, aber sich nicht namentlich nennender) Einzelschüler – von Kollaboration keine Spur! Und Enttäuschung Nummer 2: Wenn ich das in 15 Minuten als Wiki-Laie herausbekommen habe – warum dann nicht Erik Möller als Wiki-Experte? Oder war ich einfach neugieriger, weil ich eben genau wissen wollte, wie diese Schüler-Kooperation oder gar – Kollaboration stattgefunden hat? Ich lehre daraus: Man kann gar nicht neugierig genug sein bei Internet-Ressourcen. Immerhin lässt sich bei Wikipedia dank der Archiv-Funktion einiges herausfinden. Andere Webprojekte sind da weniger transparent.