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HOK Lesen/Schreiben: Von Aggressionen und Aggregatoren

Der Fall einer belgischen Zeitung, die sich gegen die ungefragte Verwertung durch GoogleNews wehrt, weist auf eine bemerkenswerte Eigenschaft der Internet-Gesellschaft. Die Aggregation von Daten, die von anderen erstellt worden sind, wird zu einem Mehrwert generierenden (und damit Profit abwerfenden) Service. Google programmiert die Suchmaschinen, welche die Websites der bekannten Zeitungen abgrasen, lässt die Inhalte gescheit darstellen und kassiert für diese Aggregation eine Menge Werbegeld, dass den Produzenten der Informationen fehlt.

Auf dieses Ungleichgewicht der web 2.0-Ökonomie weist auch Geert Lovink in seiner kritischen Würdigung „Kein Zugriff“ hin (Zusammenfassung seiner kommenden Publikation bei „Jungleworld„). Er zeigt das Prinzip auch anhand community-basierter Aggregations-Leistungen auf. Die Tagging-Funktionen habe nicht nur strukturierenden Nutzen für die angemeldeten User einer Community. Sie lassen auch Profilierungen und Marktstudien zu. Wikipedia (um noch einen Schritt weiter weg von den technischen Aggregations-Definitionen zu gehen) ist nicht nur eine Gratis-Dienstleistung, die locker alle bezahlten Modelle der Wissensaggregation (Lexika) punkto Popularität aussticht – es ist auch ein Rekrutierungsfeld für Autor/innen, die sich bereits profiliert haben und nun in anderen Projekten genutzt werden können. Wikipedia ist auch eine beliebte Quelle für so genanntes DataMining: das Auswerten der Datenbestände mit verschiedensten Fragestellungen.

Bei Google kann man noch der Meinung sein, es handle sich um eine Produktivitätssteigerung bei der Datenverwertung, wie dies die Mechanisierung und Informatisierung bei der Produktfertigung im 19. und 20. Jahrhundert war. Doch bei den Geschäftsideen im web 2.0 wird mit dem Community-Effekt günstig produziert, dank Idealismus, Altruismus, Spieltrieb, Exhibitionismus. Jüngstes Beispiel ist der Versuch von Google, mit einem Online-Game durch die Community seine Bilddatenbank beschlagworten zu lassen. Wikipedia ist zwar im Gegensatz zu Google (und anderen web 2.0-Firmen) ein Non-Profit-Unternehmen. Doch es generiert auch ziemlich viel Geld – durch Spenden. Davon können einige Leute leben, nicht zuletzt Gründer Jimmy Wales. Doch weitaus wichtiger: die Wikipedia-Community beschert dem Wikipedia-Gründer wertvolle Aufmerksamkeit, die er auch für kommerzielle Projekte (wie Wikia) nutzen kann. Letztlich geht es bei Projekten wie bei Wikipedia nicht nur um die Frage der wissenschaftlichen Güte der gemeinschaftlich-ehrenamtlich erstellten Inhalte. Es ist auch eine Verdrängung bezahlter Professionals durch idealistische Freiwillige.

Zuletzt noch ein gewagter Schlenker in die akademische Welt. Wer die Bedeutung des Aggregations-Prinzips für das web 2.0 verstanden hat, und sieht, wie dieses Prinzip bei Google, Flickr, Wikipedia und in privaten Blogs zur Anwendung kommt, staunt nicht mehr darüber, dass mit den Nutzer/innen des web 2.0 auch Copy/Paste-Verhalten und Plagiats-Vergehen in den Universitäten Einzug halten. Doch einfach nur ein sorgloses Umgehen mit fremdem geistigen Eigentum bei den jungen Studienanfängern zu beklagen, greift zu kurz. Was wird denn von Ihnen verlangt – und was haben Sie für Vorbilder?

In einem zunehmend verplanten und modularisierten, auf Leistung (= in Credits messbaren Output) getrimmten Bologna-Hochschul-System kann es nicht überraschen, dass die Aufgaben im Grundstudium oft einfachen Aggregationen gleichen. „Fassen Sie zusammen!“ ist als wissenschaftliche Herausforderung so dürr, dass es zum Copy/Paste einlädt. Stattdessen wären klare Fragestellungen zu verlangen, bzw. auch zu vermitteln, was eine klare Fragestellung ausmacht und wie diese eine wissenschaftliche Arbeit schon grundlegend strukturieren kann. Denn: auch wer sauber ein Zitat nachweist, muss es noch lange nicht gelesen oder gar verstanden haben.

Generell sollte nicht nur mit dem Argument der wissenschaftlichen Redlichkeit (keine fremden Erkenntnisse als eigene ausgeben) gearbeitet werden. Denn oft sind die Vorbilder nicht so vorbildlich, wie sie sein sollten: Auch bestandene Akademiker werden immer öfter beim Tricksen und Klauen entlarvt – nicht immer mit Konsequenzen. Und ist eine Paraphrase nicht oft einfach eine elegante Vermeidung des offensichtlichen Bekenntnisses, dass einem selber nichts Besseres eingefallen ist, man dies aber elegant in eigene Worte fassen kann?

Immerhin, und dies sei hier auch erwähnt, kann nicht genug auf die lernpsychologische Wirkung des epistemischen Schreibens hingewiesen werden: Sachverhalte besser verstehen, indem man sie verständlich niederzuchreiben versucht.

Zu den Argumenten der Redlichkeit und der Lernpsychologie kommt auch noch jenes der Urheberrechte: man ist in der Regel nicht befugt, ohne Nachweis längere Passagen aus Werken anderer abzuschreiben/ zu kopieren. Hier gilt jedoch zu beachten, dass die GNU Public License die bestehenden Regeln verändert. Aus Wikipedia darf ohne Zitatnachweis wörtlich zitiert (auch in beliebig abgeänderter Form) werden – solange das Ergebnis auch der GNU Public License untersteht und frei weitergegeben und weiter bearbeitet werden kann.

Noch zum Titel: Angesichts der starken Überzeugungen, die zur Disposition stehen (Konzepte der Wissenschaftlichkeit), und der ökonomischen Realitäten (Wer bezahlt und wer kassiert?) wundert mich der zuweilen scharfe Ton nicht, mit dem über die „schlimmen Entwicklungen“ des Internets – und des web 2.0 als Untermenge davon – hergezogen wird. Aber bleibt nur Euphorie, Fatalismus oder Beklagen?

Literatur:

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Aus der Welt der Wikis: Citizendium = Wikipedia 2.0?

Tim Bartels fasst in seinem Wikipedistik-Blog die Meldungen zum geplanten Konkurrenz-Projekt Citizendium des ehemaligen Wikipedia-Mitbegründers Larry Sanger zusammen. Anspruchsvoller soll es sein und mit einem durchdachten System der Qualitätssicherung. Wir werden sehen. Stösst es, wie Bartels am Freitag vermutete, auf ein grosses Medienecho? Selber nachlesen bei Google News

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Aus der Welt der Wikis: Die vielen Einzelnen und das eine Kollektiv in Wikipedia

Internet-Autorität (wobei, was heisst das schon?) Jaron Lanier (Bio bei Wikipedia/Stanford University/Laniers Website) rechnet in seinem Essay „Digital Maoism“ ab mit dem Hype um den HiveMind, die Schwarmintelligenz, die ich hier (als „kollektive Intelligenz“) und hier (als „Weisheit der Vielen“) auch schon erwähnte und die immer wieder gerne zitiert wird im Zusammenhang mit allen möglichen Aspekten des „web 2.0“ und der Tätigkeiten der Internet-Communities.

Dabei plädiert Lanier für eine Kombination von kollektiver und individueller Intelligenz, die mit ihren jeweiligen Stärken ihre jeweiligen Schwächen auszugleichen vermögen. Genau genommen wehrt sich Lanier lediglich dagegen, der kollektiven Intelligenz eine alles lösende Macht zuzuschreiben und geisselt die Tendenz, mit dem Schlagwort von kollektiver Intelligenz Verantwortung zu vermeiden und den Wert des Individuums gering zu schätzen. Zugespitzt sieht er die Gefahr in der Vorstellung, das Internet selber werde durch die kollektive Intelligenz zu einem handelnden und denkenden Subjekt.

The beauty of the Internet is that it connects people. The value is in the other people. If we start to believe that the Internet itself is an entity that has something to say, we’re devaluing those people and making ourselves into idiots.

Nun führte es zu weit, den ur-amerikanischen Topos des „freien Individuums“ in seiner digitalen Ausprägung und sein Erscheinen in der Argumentation von Lanier genauer zu analysieren. Doch bleibt bei mir eine gewisse Skepsis bei seiner Kritik an der kollektiven Intelligenz bestehen, die ja nun wirklich nicht einfach „Die Intelligenz des Internets“, sondern durch das Zusammenwirken von Individuen entsteht.

Lanier wendet sich zwar nirgends explizit gegen Wikipedia, aber doch gegen die (seiner Ansicht nach) dahinter stehende Vorstellung davon, dass eine unpersönliche Gestalt namens „Kollektiv“ eine Enzyklopädie bauen und irgendwie auch automatisch für seine Qualität bürgen werde. Stattdessen brauche es Individuen, welche die Qualität kontrollierten. Nun, was ist Wikipedia anderes als eine Ansammlung von Individuen, die jeweils ihre Interessen verfolgen und darüber kommunizieren? Und was machen die Nutzer und Administratoren (alles Individuen) anderes, als Qualität beständig zu überprüfen? Die Rolle der Einzelnen in der Wikipedia wurde bereits mehrfach (und zwar auch von Gründer Jimmy Wales selbst) skizziert: Dass sich nur wenige tausend Autoren, die sich mit dem Projekt identifizieren, mit einer Grosszahl an „Edits“ (Bearbeitungen von Texten) an der Entwicklung der Wikipedia beteiligten (Link muss ich noch nachliefern, zitiert wird Wales von Swartz im folgenden Link). Zugespitzt: einige wenige schreiben und entwickeln die Artikel, die grosse Masse korrigiert vereinzelte Kommafehler. Aaron Swartz hat neuerdings genau die umgekehrte These vertreten, die noch stärker die Paradoxie von Kollektiv und Individuum beleuchtet (Who writes Wikipedia? – Deutsche Übersetzung von Tim Bartels in Wikipedistik). Swartz vermutet (nach der Analyse einiger Artikel), dass Aussenseiter (oft anonyme Sachexperten) einen Sachverhalt einmal grundsätzlich schreiben, und diese dann in vielen Einzelschritten von der „Kerngruppe“ geordnet, geglättet und strukturiert wird. Der Blog „Social Software“ erklärt das mit einem bekannten Modell: Autoren schreiben, Redaktoren überarbeiten. Ist das nun „Schwarmintelligenz“?

Letztlich geht es ja nicht um „Kollektiv“ und „Individuum“, sondern (meiner Ansicht nach) um Zufall gegen Planung und dann um Entscheidungs- und Gestaltungs-Macht. Wie die Debatte zwischen Exklusionisten und Inklusionisten zeigt, ist das Spannende (und zugleich Ärgerliche) an Wikipedia die Rolle des Zufalls bei der Auswahl und Gestaltung der Artikel. Die Exklusionisten wollen alle „seichten“ Einträge, die nicht in ein richtiges, akzeptiertes Lexikon mit kanonisiertem, wissenschaftlichen Wissen gehören, aus Wikipedia streichen. Aber zuweilen gehören gerade die Artikel über die so genannten Trivia zu den besseren (weil persönlicheren); zum anderen machen gerade diese Artikel den interessante Mix von Wikipedia aus. Es gibt keinen „Masterplan“, der top-down die Wissensinhalte strukturiert, sondern die Inhalte entstehen bottom-up und chaotisch – wie das Internet als Ganzes ja auch. Und wie ich das verstehe, ist gerade das chaotische Entstehen eines

Deshalb gibt es in Wikipedia die Möglichkeit, aufgrund eines Masterplans Inhalte oder Autor/innen ein- oder auszuschliessen. Es gibt Regeln dafür, aber vor allem beständige Aushandlungsprozesse, die auf flexible Kriterien hindeuten; bis hin zum Risiko der Willkür. Aber ist das Kollektivismus? Vielleicht verstehe ich auch Laniers Vorwurf nicht ganz (oder das Prinzip der Schwarmintelligenz oder beides). Jedenfalls diskutieren in den einzelnen Artikeln und zu den jeweiligen Fragen zur Gestaltung der Wikipedia sehr konkrete einzelne Individuen. (Allerdings – dies ist Stärke und Schwäche zugleich – können diese auch anonym bleiben). Problematisch wird dies dort, wo statt Konsens verkappte Mehrheitsentscheide „durchgedrückt“ werden – also derjenige oder diejenige Recht behält, der oder die den längeren Atem hat.

Kollektivistisch (um wieder auf diese Frage zurückzukommen) im Sinne der Schwarmintelligenz ist nach meiner Einschätzung die Annahme, dass früher oder später die Enzyklopädie als Ganzes durch wundersame Selbstheilkräfte von selbst auf ein akzeptables Niveau gelangen kann. Dies halte ich anders als Lanier nicht für naiv oder gefährlich, sondern einfach für wenig wahrscheinlich. Ich vermute, diese kollektive Intelligenz wird nicht spielen: Die Unterschiede werden bleiben (wenngleich vielleicht nicht so ausgeprägt) und sie sind stark von der zufälligen Konstellation abhängig, ob sich sachkompetente Individuen zusammenfinden, die ein Thema behandeln, das sich gut für enzyklopädische Abhandlung eignet, und sich auf einen Konsens bei der Darstellung des Themas einigen können. Gute Artikel leben vom Engagement von Menschen, die sich um diese guten Artikel kümmern – genauso lebt die Wikipedia vom Engagement einer Gruppe von Menschen, die sich (aus welchen Gründen auch immer) für diese Projekt einsetzen (siehe Aaron Swartz: Who runs Wikipedia? Ich habe mir die Frage auch schon gestellt, aber nicht so gut beantwortet.)

Und bei diesen Diskussionen geht es – natürlich – auch um Entscheidungsmacht. Diese ist bei Wikipedia (wie oft in solchen Community-basierten Projekten des web 2.0) nicht abgeleitet aus einer hierarchischen, auf (angenommener, oft auch behaupteter) Sachkompetenz beruhender Struktur (Abteilungs-, Forschungsleiter, Herausgeber, Lektor), sondern eher auf einer auf Engagement und Tätigkeitsausweis beruhender Meritokratie. Aber Konflikte wie jene von Bertrand Meyer, der noch vor wenigen Monaten Wikipedia lobte, und nun verzweifelt das Handtuch wirft, weil er sich mit seiner Auffassung eines Sachverhalts in einem spezifischen Artikel der Wikipedia nicht durchsetzen kann, gibt es auch in „Offline“-Situationen. Menschen haben verschiedene Ansichten, sie streiten darüber, am Schluss können sich gewisse Personen mit ihren Ansichten durchsetzen und – nein, auch in der Wissenschaft sind es nicht immer die wissenschaftlichen Argumente, die ausschlaggebend sind. In der Wikipedia wird der Konflikt immerhing transparent gemacht – er ist nachzulesen, jeder Interessierte kann sich selbst über den Gang der Argumentation ins Bild setzen. Ob das zum Verständnis des Konflikts bereits ausreicht, ist noch einmal eine andere Frage; ebenso, wer den Prozess überhautp analysieren will.

Jedenfalls scheint mir bei der Debatte um die „wissenschaftliche Gültigkeit“ von Wikipedia das Ergebnis (also die Inhalte) zu Unrecht mehr Beachtung zu finden als der Prozess, durch den die Inhalte entstehen und sich verändern. Hat nicht Jimmy Wales das Wiki-Prinzip treffend zusammengefasst

„The basic thing I think makes it work is turning from a model of permissions to a model of accountability. It isn’t that you are allowed or not allowed to edit a certain thing; it’s when you do it, that change is recorded, and if it’s bad, people can see that.“

Mir scheint, es fehlt noch die Gewohnheit im Umgang mit einem System, in dem ein Modell der „accountability“, also der Verantwortlichkeit im Detail, angewendet wird.

Was mich mehr beschäftigt bei der „kollektiven Intelligenz“ ist die Frage nach der „Aggregation“ bereits vorhandenen Wissens, wie es Wikipedia als Community-basiertes Enzyklopädie-Projekt in Reinkultur darstellt: was wird eigentlich „neu“ geschaffen? Und wer verdient mit dieser Aggregation sein Geld? Und was hat diese (neue?) „Kulturtechnik“ der Aggregation für Auswirkungen auf das wissenschaftliche Arbeiten: hier ist ja das Zusammentragen des Forschungsstandes (=aggregieren) gang und gäbe. Zutreffend bemerkt Lanier:

Accuracy in a text is not enough. A desirable text is more than a collection of accurate references. It is also an expression of personality.

Das gilt bei historischen Texten besonders, auch Rosenzweig hat auf diesen Mangel bei den kollaborativ erstellten Texten der Wikipedia hingewiesen.

Literatur

Aus der Welt der Wikis: „Stabile Versionen“ bei Wikipedia

Jimmy Wales kündigte es bei der Wikimania bereits an, und C-net spitzte es letzthin mit einem leicht ironischen Titel zu („Can german engineering fix wikipedia?„): Bei der deutschen Wikipedia soll bald eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ für die Beiträger (und die Autor/innen) entstehen. Es gibt dann stabile (=geprüfte) Versionen, die nur von ausgewählten Personen noch veränder werden können, und „gesichtete“, also frei veränderbare Versionen. Was diese Unterteilung für Konsequenzen hat und wie die Einführung von statten gehen wird beschreibt eine gute Übersicht bei Wikipedistik, die auch mit verschiedenen falschen Vorstellungen und ungenauen Aussagen zu diesem neuen Ansatzes bei Wikipedia aufräumt.

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HOK Schreiben: Zeitleisten

In der Geschichtsdidaktik sind Zeitleisten wichtige Visualisierungen, die chronologische Abfolgen sichtbar machen können. In Wikipedia sind erste solche Zeitleisten bereits erstellt worden (zum Beispiel zur Schweizer Geschichte), nun bietet auch die Projektgruppe Semantic Interoperability of Metadata and Information in unLike Environments am MIT eine Open-Source-Software, welche die Erstellung von Zeitleisten (nicht nur für den Gebrauch bei der Geschichtsvermittlung) ermöglicht.
Noch ist die Handhabung nicht einfach, sie setzt gewisse Kenntnisse beim Bearbeiten von HTML und Javascript-Code voraus. Doch es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Historiker/innen und Geschichtslehrer/innen vergleichsweise einfach Zeitleisten je nach konkretem Bedarf für die Darstellung von zeitleichen Abfolgen und Zeiträumen erstellen können. Vielleicht sind aber auch die Schüler/innen schneller…

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Aus der Welt der Wikis: Wikipedia und Geschichtswissenschaft (laut Rosenzweig)

Ich hatte kürzlich die Frage gestellt, welchen Wert Wikipedia für die Geschichtswissenschaft habe und eine Untersuchung dazu gewünscht. Darauf folgte prompt der Hinweis auf einen Artikel von Roy Rosenzweig, seines Zeichens Leiter des Center for History and New Media an der George Mason Universität in Fairfax, Virginia mit dem Titel: Can History be Open Source? Wikipedia and the Future of the Past (erschienen in The Journal of American History, 93/1 (2006), S. 117-146). Eine gute Zusammenfassung hat Tim Bartel in seinem Wikipedistik-Blog schon geliefert, hier noch einmal die wichtigsten Fakten aus meiner Sicht.

Rosenzweig stellt zunächst einmal fest, dass nur 6 Prozent der 32’000 seit dem Jahr 2000 im Journal bibliographierten Titel mehr als einen Autoren, bzw. eine Autorin aufweisen. Geschichte schreiben ist eine indiviualisierte, keine kollaborative Arbeit – bislang.

Er differenziert bei der Analyse der Einträge: Artikel zu allgemeinen Themen, z.B. die Überblicksartikel zur Geschichte verschiedener Nationen, sind weniger gut als biographische Artikel. Dies liege laut Rosenzweig einerseits daran, dass es relativ schwierig sei, gute zusammenfassende Darstellungen kollaborativ zu verfassen.

[…] such broad synthetic writing is not easily done collaboratively.

Andererseits seien biographische Artikel in dieser Hinsicht einfacher zu schreiben, weil sie einem bewährten und bekannten Muster folgten. Rosenzweig hat 25 biographische Einträge in Wikipedia genauer untersucht, mit entsprechenden Einträgen in Encarta und American National Biography Online (ANB Online) verglichen und dabei praktisch keine faktischen Fehler vorgefunden. Allerdings sei der Stil doch nicht so überzeugend und die historische Einbettung und Deutung nicht so stringent wie beim Referenz-Werk ANB Online.

Bemerkenswert ist die unterschiedliche Gewichtung von bei der Länge der Artikel, ja der Auswahl an Biographien in Wikipedia, die den Präferenzen der hauptsächlichen Benutergruppen entsprechen: Der Eintrag zur Fernsehserie Coronation Street (eine Art englische Lindenstrasse) könne länger sein als jener über Tony Blair. Allerdings wurde der Artikel zu Blair nach der Äusserung dieser Kritik von Dale Hoiberg, dem Herausgeber der Encyclopedia Britannica, umgehend von der Wikipedia-Gemeinde ausgeweitet.

Rosenzweig sieht auch das Bemühen um Neutralität (das Neutral Point of View-Gebot) als Schwierigkeit, zu überzeugenden Darstellungen zu gelangen. Im Bemühen um Ausgeglichenheit werden die Artikel gerne steril und wenig aussagekräftige Aufzählungen (Punkt-Listen) von Fakten.

Rosenzweig geht auch auf die Fehler in Wikipedia ein, die zwar grosse Verbreitung finden (weil Wikipedia bei Google so hoch gerankt wird, aber auch, weil viele Website die Gratisinformationen von Wikipedia übernehmen), aber auch schnell und einfach korrigiert werden können. Er stellt aber auch fest, dass die verbreitete Nutzung von Wikipedia unter Studierenden weniger ein Problem der Fakten, als ein Problem des Charakters von Wikipedia ist: es handelt sich um ein Lexikon-Projekt, und in Lexika werden Sachverhalte auf eine bestimmte Art und Weise abgehandelt, die nicht für den wissenschaftlichen Gebrauch geeignet ist (daher auch der Aufruf von Wikipedia-Gründer Wales, Wikipedia nicht zu zitieren). Die Fakten mögen stimmen: Aber reichen die Fakten aus, um Geschichte zu verstehen?

Was den Vorwurf der unwissenschaftlichen Entstehungsbedingungen betrifft, macht Rosenzweig auch interessante Feststellungen: Seiner Ansicht nach sei das kollaborative System der Artikel-Erstellung nichts anderes als eine Art Peer-Review – und auf den Diskussions-Seiten würden sich letztlich genau jene historischen Debatten (wenngleich nicht auf wissenschaftlichen Niveau) zutragen, die sonst von den professionellen Historiker/innen immer so schmerzlich in der Gesellschaft vermisst werden. Rosenzweig macht geltend, dass hier durchaus wissenschaftliche Prinzipien zum tragen kommen oder dies zumindest könnten. Er fordert schliesslich die Zunft dazu auf, sich lieber am Projekt Wikipedia zu beteiligen, als es als unwissenschaftlich abzuqualifizieren. Würden alle Historiker/innen nur einen Tag pro Jahr arbeiten, könnten die Inhalte etlicher Artikel wesentlich verbessert werden.

Er ärgert sich auch darüber, dass die durchaus vorhandenen, hervorragenden Online-Angebote zu Geschichte (wie zum Beispiel ANB online, aber auch JStor) nur gegen (teure!) Bezahlung zugänglich seien, obwohl sie mit nicht unerheblichen staatlichen Mitteln direkt oder indirekt gefördert worden seien. (Hier ist als löbliche Ausnahme das historische Lexikon der Schweiz zu nennen, dass genau jene Forderung erfüllt und kostenlos zugänglich ist).

Schliesslich sinniert Rosenzweig über Möglichkeiten, die Kraft von Communities für historische Projekte zu nutzen: Warum nicht die ehrenamtliche Tätigkeit für Transkriptionen von Quellenmaterial einsetzen, oder für das Verfassen eines standardisierten, frei zugänglichen Textbuches für Studienanfänger/innen? Natürlich zählt Rosenzweig auch die Schwierigkeiten solchen kollaborativen Arbeitens auf: Kosten, Promotionsordnungen, Renommé. Wer bezahlt, wer bestimmt und wie werden die individuellen Leistungen anerkannt, die in der kollaborativen Endergebnis „verschwinden“? Rosenzweig rät zum Schluss, dieser neuen Form, Wissen zu produzieren, genügend Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aber letztlich bleiben auch bei seinem erhellenden Artikel doch viele Fragen noch offen.

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Aus der Welt der Wikis: Wikipedia bittet darum, nicht zitiert zu werden

Der Begründer von Wikipedia, Jimmy Wales, hat (laut CNet) in einer Rede vor College-Studierenden darum gebeten, dass diese Wikipedia nicht mehr zitieren sollen. Er erhalte wöchentlich etwa zehn Mails von enttäuschten Studierenden, die darüber klagen, dass ihre Dozenten die Nachweise nicht akzeptiert hätten. Wales hält die Verwendung einer Enzyklopädie (auch einer gedruckten…) ohnehin nicht sonderlich geeignet für eine wissenschaftliche Referenz. Er erwägt sogar das Bereitstellen eines Fact-Sheets, das die Zielsetzung von Wikipedia erläutert (und seine beschränkte Tauglichkeit für wissenschaftliche Zwecke), das von den Dozenten an die Studierenden abgegeben werden könnte. Bis dahin gibt es zumindest eine Liste mit „Frequently Asked Questions“ zur Nutzung von Wikipedia in Schulen (und auch Universitäten – leider noch nicht auf Deutsch).

Ob sich die Studierenden nun nicht mehr auf Wikipedia stützen oder dies einfach nicht mehr in ihren Arbeiten nachweisen, würde mich brennend interessieren!

Nachtrag: Ok, ich gestehe es ein, ich war nicht ganz auf der Höhe: Schon letztes Jahr (anlässlich der Seigenthaler-Kontroverse) meinte Jimmy Wales, Wikipedia (oder überhaupt Enzyklopädien) sollte nicht zitiert werden.

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Aus der Welt der Wikis: Wikiality

Der Satiriker Stephen Colbert prägte in seiner Colbert Report (eine Parodie auf die berüchtigte rechtslastige Sendung „The O’Reilly Factor„) den Begriff „Wikiality“ (Zitat aus Wikipedia, Hervorhebung durch mich):

He coined the portmanteau of Wikipedia and reality, Wikiality. Wikiality, by his definition, means the representation of truth on Wikipedia that is determined by consensus rather than fact. […]. He also instructed viewers to change the elephant article to add that the number of elephants has tripled in the last six months, saying that if enough people agreed, it would become true and would be the first step on a path to saving the endangered beasts. [28] He goes on to express his love for Wikipedia as it presents a philosophy similar to Colbert’s own truthiness (that intuition is more true than fact) as „if enough people believe something“ it becomes true.

Als Ergebnis musste der Artikel über Elephanten gesperrt werden. Colbert hat mit seinem neu-erfundenen Ausdruck „truthiness“ in den USA einiges Aufsehen erregt; das Wort wird nicht nur in einem sehr langen Eintrag in Wikipedia behandelt, sondern wurde auch zum Wort des Jahres gewählt.
Hier der Video-Ausschnitt zu „Wikiality“ (bezogen vom bereits besprochenen YouTube):

Ich führe dies hier an, weil die Satire immer auch einen Kern Wahrheit enthält. Denn die Möglichkeit, dass die Mehrheit definiert, was wahr ist, ist bei einem offenen, kollaborativen Modell des Schreibens wie bei Wikipedia nicht nur gegeben, sondern Teil des Konzepts. Das Konzept baut darauf, dass die Mehrheit der Beteiligten auf der Basis rationaler Argumente Einträge verfasst und ergänzt. Doch kann (wissenschaftliche) Wahrheit demokratisch hergestellt werden? Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass die Administratoren eingreifen können, wenn Wikipedia-Nutzer die Bestimmungen von Wikipedia (die auf Rationalität gründen) missachten. Doch wo endet Vernunft und wo beginnt Willkür? Mit anderen Worten (wie schon früher gefragt): Wer (oder was) „regiert“ Wikipedia?

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Aus der Welt der Blogs: PayPerPost

Telepolis berichtet von einem neuen Business-Modell in der Blogosphere: PayPerPost will Bloggern Geld dafür bezahlen, wenn sie Produkte oder Firmen in ihren Posts erwähnen – so wie jetzt hier gerade Telepolis und PayPerPost, nur dass ich dafür leider kein Geld kriege.

Die Absicht: das vertrauenswürdige Image von persönlich betreuten Blogs nutzen, um Werbung gezielt an den Mann und die Frau zu bringen (statt der üblichen Banner-Klick-Werbung ? la AdSense von Google mit der ganzen Click-Fraud-Problematik).

Die (befürchtete) Folge: In Zukunft steht jeder Blog, der Produkte oder Firmen nennt, unter dem Verdacht, dafür Geld zu nehmen. Denn auch ein Verriss oder beissende Kritik kann, wie schon oft bewiesen, durchaus einen positiven Werbeeffekt haben in einem Umfeld, in dem Aufmerksamkeit das rare Gut ist.

Bedeutet das das Aus für die Blogs? Denn in der Tat: Ein seltsamer Gedanke, dass ich mich beispielweise von Google für mein Blog-Einträge bezahlen lasse (mit Wikipedia hingegen liesse sich wohl nicht viel Geld verdienen). Jeder Hinweis auf ein kommerzielles Produkt will da gut bedacht sein.

Und wenn wir das noch aus geschichtswissenschaftlicher Warte anschauen und Blogs als Quellen betrachten: wie sind diese möglichen Verbindungen und Abhängigkeiten zu berücksichtigen, bzw. überhaupt zu eruieren?

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Aus der Welt der Wikis: Wer regiert Wikipedia?

Ich stiess bei der Lektüre eines Artikels der New York Times über die Veränderungen der Editier-Regeln bei Wikipedia auf eine grundsätzliche Frage, die sich mir bis anhin nur am Rande gestellt hatte. Welche Rolle spielen die Administratoren bei der Entwicklung dieses grossen Online-Projekts? Zwar dürfen alle und jede und jeder in Wikipedia mitschreiben. Doch die meisten überlassen diese Arbeit lieber der aktiven Community von ca. 1000 Autor/innen, aus welchen sich auch die Administratoren rekrutieren. Diese haben grosse redaktionellen Rechte und werden eigentlich nur von sich selber kontrolliert. Die Organisationsstruktur lässt offen, wie Beschwerden geführt werden könnten (ausser, man wendet sich direkt an den Gründer Jimmy Wales). Es gibt zwar eine Art Schiedsgericht (zumindest für das englisch-sprachige Wiki) es wird auf Wikipedia aber nicht klar, wie man an dieses Schiedsgericht gelangen soll und für welche Konflikte es zuständig sein soll.
Diese Erkenntnis (ich gestehe es ein) ist nicht sonderlich originell – dafür wird die Auseinandersetzung über den oligarchischen Charakter von Wikipedia (und andere Fragen, was Wikipedia sein soll und was nicht) schliesslich schon auf Wikipedia selbst verhandelt.

Irgendwie erinnert mich das an alte Tage von Studierenden-Streiks, als sich Studierenden-Räte bildeteten und letztlich das Prinzip galt: „Wer sich interessiert und engagiert ist legitimiert“ und „wer den längsten Atem hat, setzt sich durch“. Das habe ich hier auch schon in anderem Zusammenhang zu Wikis angemerkt. Mir fehlt eine durchdachte Analyse dieses Aspekts von Legitimität in offenen Publikationssystemen. Weiss da jemand mehr? Hinweise willkommen.

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HOK Lesen: Quellen: Wikipedia und die Geschichtswissenschaften

Die offensichtliche Frage, inwiefern Wikipedia für den Gebrauch in den Geschichtswissenschaften geeignet ist, ist hier noch nie explizit gestellt worden. Die Überlegungen zum Prinzip der Wikis und zu Wikipedia waren eher allgemein gehalten.

Im Nachgang der Fertigstellung meines Textes zu „hist.collaboratory“ (ein Torso, bzw. die allererste Anfangsfassung ist hier zu finden) wurde ich von Kollege Peter Haber, der meinen Beitrag redigiert, auf diese Frage gestossen.

Dass ich nun erst jetzt diese Frage direkt behandle, weist darauf hin, wie heikel dieses Thema (zumindest in meinen Augen) zu sein scheint: Die Vorstellung, dass jede Person die Einträge dieses Nachschlagewerks nach Lust und Laune verändern kann, widerstrebt den meisten Historiker/innen. Sie lassen es kaum als wissenschaftliche Informationsquelle gelten und mögen sich auch nicht als Autor/innen engagieren. (Wobei ich bereits einige Autor/innen in Wikipedia entdeckt habe, die sich als Historiker mit Hochschulabschluss zu erkennen geben – obwohl dies allein noch nichts über die Qualität der Einträge aussagt).

Die erste (und einzige mir bislang bekannte) Besprechung von Wikipedia in den Geschichtswissenschaften lief bei H-Soz-Kult und bezog sich auf die CD-ROM-Version vom Frühling 2005. Die Rezension widmete sich drei (!) Artikeln, die sich mit geschichtswissenschaftlichen Themen befassten: „Investitur-Streit“, „Historiker-Streit“ und „Merkantilismus“. Dabei fand Rezensent Björn Hoffmann einige inhaltliche und formale Unstimmigkeiten und schwere Mängel.

Beispiel Merkantilismus: Waren die beiden ersten Stichproben zumindest nicht grob falsch, kann man das von vielen Formulierungen des Artikels zum Merkantilismus nicht mehr behaupten, der Merkantilismus wird hier als „vorherrschendes Wirtschaftssystem im Zeitalter des Absolutismus“ bezeichnet. (…) Hier wird der Eindruck erweckt, dass es sich beim Merkantilismus um ein einheitliches Wirtschaftssystem gehandelt habe (…). Das Gegenteil ist der Fall und in der historischen Forschung besteht darin auch kein Zweifel, dass der Begriff des Merkantilismus letztlich nur sehr unterschiedliche praktisch-wirtschaftspolitische Maßnahmen in Europa bezeichnen kann.

Wie schwierig es ist, Kritik an Wikipedia zu üben, weil Fehler schnell ausgemerzt werden können (und oft auch werden) zeigt eine Durchsicht der Artikel im Juni 2006. Die meisten von Schäfer kritisierten Mängel im Wesentlichen sind behoben und in den betreffenden Einträgen sind seit Mai 2005 jeweils über 100 Veränderungen vorgenommen worden (auch wenn diese Änderungen oft nur kleinere Tippfehlerkorrekturen waren). So heisst der erste Satz im Artikel Merkantilismus (am 14. Juni 2006):

Merkantilismus ist ein nachträglich verliehener Begriff für ein Sammelsurium verschiedener wirtschaftspolitischer Ideen und Politiken, welche sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber auch finanzwirtschaftliche Ansätze verbinden.

Im Mai 2005 begann der Artikel noch so (Version vom 9. März):

Der Merkantilismus (lat. mercator – Kaufmann) war das vorherrschende Wirtschaftssystem im Zeitalter des Absolutismus (16.–18. Jahrhundert). Er löste die mittelalterliche Zunft- und Stadtwirtschaft ab und ist verbunden mit der Herausbildung homogener Volkswirtschaften.

Kritik an Wikipedia ist deswegen nicht obsolet: Auch die aktuelle Version lässt noch zu wünschen übrig. Aber Kritik ist m.E aus verschiedenen Gründen schwer anzubringen:

  • Fehler werden schnell korrigiert und Mängel behoben, folglich veraltet die Kritik ebenso schnell.
  • Jede Kritik muss sich mit der Wikipedia-Aufforderung „Dann verbessere es doch!“ auseinandersetzen. Das ist sonst bei Kritik an geschichtswissenschaftlichen Texten weder üblich noch möglich.
  • Die unglaublich Menge an Einträgen (die sich auch dauernd ändern) zu Themen der Geschichte und der Geschichtswissenschaften machen eine fundierte Analyse, die mehr als drei zufällig ausgewählte Artikel bewertet, ausserordentlich schwer.
  • Bei der Analyse ist zudem immer die Referenz zu berücksichtigen: Muss Wikipedia so gut sein wie die „Geschichtlichen Grundbegriffe„, wie der „Brockhaus“ oder einfach besser als das Suchergebnis bei Google?

Letzters möchte ich kurz am Beispiel des Begriffs „Historische Anthropologie“ (Version vom 8. März 2006) erläutern: Inhaltlich ist der Eintrag (selbst für ein Lexikon) etwas mager, dafür listet er relevante Literatur zum Thema auf. Und das ist auf jeden Fall mehr, als was sonst im Internet zu diesem Thema zu finden ist.

Eine weitere Analyse von Wikipedia im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nutzen für die Geschichte wäre noch zu leisten. Ich werde hier mal ein bisschen weiter daran rumdenken. Kommentare und Hinweise sind gerne willkommen!

Übersicht: HOK Lesen: QuellenAus der Welt der Wikis

HOK Lesen: Quellen: Nature, Wikipedia und Britannica

Die Encyclopedia Britannica (EB) rügt Nature für die vor einigen Monaten veröffentlichten Vergleich zwischen dem renommierten Nachschlagewerk und Wikipedia, der zum Schluss kam, dass Wikipedia-Artikel gar nicht so viel schlechter seien als jene der EB – die auch einige Fehler enthalte. Nun schlägt EB zurück und bezeichnet die von Nature veröffentlichte Studie als fehlerhaft und wertlos.
Die 20-seitige Entgegnung „Fatally Flawed“ von EB kann als 850 KB schweres PDF-File hier heruntergeladen werden. Fortsetzung folgt…

Update 25.3.2006:
Mittlerweile hat Nature auf die Vorwürfe von EB reagiert und gesteht einige Fehler ein, weist aber den Vorwurf zurück, es lägen systematische Fehler vor: Encyclopaedia Britannica and Nature: a response (PDF 20KB).
Pressemeldungen (zum Teil mit Kommentaren) bei:

  • Heise
  • InternetWeek („Nevertheless, Wales [Gründer von Wikipedia, jh] believed Britannica’s criticism of the study was „overblown“ and blamed news reports for saying the two publications were equal in accuracy. […] ‚We’re encyclopedia geeks, so we love Britannica,‘ Wales said.“)
  • CNetNews („‚This study has been cited all over the world, and it’s invalid,‘ Dale Hoiberg, Britannica’s editor in chief, said in a statement.“)

Übersicht: HOK Lesen: QuellenAus der Welt der Wikis

HOK Schreiben: Soziale Beziehungen beim Kollaborativen Schreiben

Angesichts der zentralen Bedeutung, die Lunsford und Ede in ihrer Untersuchung über das kollaborative Schreiben den Machtverhältnissen und Hierarchien in den gemeinsam schreibenden Gruppen beimessen, wird das Potential von Wiki, oder genauer von Wikipedia deutlich.

Lunsford und Ede stellten fest, dass bei den von ihnen untersuchten kollaborativen Schreibprozessen die Machtkonstellationen unterschiedlich mit der tatsächlichen Schreibbeteiligung und der schliesslichen Kennzeichnung der Autorschaft korrelierten. Sie stellten einerseits zwei Typen der Kollaboration fest: einen hierarchischen (Der Chef strukturiert, die Unterstellten schreiben, der Chef entscheidet) und einen kollegialen (alle Beteiligten entwickeln gleichberechtigt den gemeinsamen Text).
Allerdings müsse der hierarchische Typus keineswegs immer in der (aus der Sicht der kritischen Theorie naheliegenden) ausbeuterischer Form vorliegen. Der hierarchische Modus könne auch mit geteilter Macht und Autorschaft sehr effizient zu Prozessen und schliesslich Ergebnissen führen, die für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend seien (S. 134).

Auch bestehe kein zwingender Zusammenhang zwischen Macht und Einfluss bei der Textgestaltung und Autorschaft beim Endprodukt. Es gäbe hier verschiedene Mischformen.

Entscheidend scheint mir folgende Feststellung von Lunsford und Ede in Bezug auf das von ihnen untersuchte Sample, das vor allem aus männlichen, angelsächsischen Weissen aus Wissenschaft, Privatunternehmen und Verwaltung bestand: „The fact that collaborative writing is so readily accepted in this world may be connected to this world’s homogeneity. What, we wonder, will result when such a context changes, when the professional work scene is populated much more by women and people of color?“ (S. 138)

Auch wenn die Frage offen bleiben muss, warum zu Ende der 1980er Jahre diese Durchmischung in den USA offenbar noch nicht stattgefunden hat (oder haben soll) – interessant bleibt der Aspekt der Homogenität. Er bezieht sich auch darauf, dass die Beteiligten an kollaborativen Prozessen sich gegenseitig bekannt sind. Das heisst, es herrschen soziale Beziehungen, eventuell auch Machtgefälle zwischen den Beteiligten, die sich in den Arbeitsprozessen abbilden können. (Anmerkung: Lunsford und Ede untersuchten konventionelle Formen des kollaborativen Schreibens, ohne Unterstützung durch neue Informationstechnologien wie das Internet).

In dieser Hinsicht bietet Wikipedia eine interessante Alternative an. Hier können einander Unbekannte gemeinsam an einem Text arbeiten. Die sozialen Beziehungen zueinander werden erst im Verlaufe der Arbeit bestimmt. Dass dieser Prozess relativ unklar ist, bzw. sich zumindest nicht an etablierten Strukturen ausrichtet, sondern im Prinzip einen egalitären Ansatz verfolgt (die Schülergruppe von 15-jährigen ist genauso teilnahmeberechtigt wie gestandene Professorinnen und Professoren) trägt auch zur Verunsicherung bei, welche die Scientific Community beim Experiment Wikipedia beschleicht.

Dies ist eine soziale Konstruktion, keine technische. Denn Wikis können auch zur Erarbeitung von Texten dienen, an denen Personen beteiligt sind, die sich bekannt sind und deren Beziehung zueinander geklärt ist. Der Einfluss der Technik auf die Zusammenarbeit dürfte vergleichsweise klein sein und sich vor allem auf Effizienzsteigerung und Flexibilität beziehen.

Selbst die Aufzeichnung von Veränderungen gegenüber früheren Versionen mit Verweis auf die Autorschaft, die die Veränderung verantwortet, sowie die Archivierung aller früheren Versionen ist an sich nicht neues. Viele kennen diese Hilfsmittel vom verteilten Arbeiten mit Word-Dokumenten. Doch dass diese Aufzeichungen dem Wiki-System derart zugrunde liegen, dass das Wikipedia-Projekt mit dem Prinzip der Accountability überhaupt starten und sich entwickeln konnte, ist eine wichtige Differenzierung gegenüber früheren technischen Lösungen von Kollaborationshilfsmitteln, die entscheidenden Einfluss auf die Art der Kollaboration hat.

Literatur:
Ede, Lisa, Lunsford, Andrea: Singular texts/plural authors. Perspectives on collaborative writing, Carbondale: Southern Illinois University Press 1992

Übersicht: HOK Schreiben

Aus der Welt der Wikis: Gute Ratschläge zum 5. Geburtstag von Wikipedia

Anlässlich des fünften Geburtstags von Wikipedia gibt Torsten Kleinz auf Telepolis der Internet-Enzyklopädie fünf Ratschläge für die Zukunft.

  1. Das Projekt muss personell und finanziell besser organisiert, bzw. besser ausgestattet werden, damit es nicht Opfer des eigenen Erfolgs wird.
  2. Die Lizenz, welche die Nutzung von Wikipedia-Inhalten regelt, gestattet zwar eine kostenlose Nutzung, ist aber kompliziert und zudem inkompatibel zur Common Creative License, hier brauche es eine Lösung.
  3. Wikipedia muss die zweischneidige Frage der Transparenz lösen. Bei den Artikel-Editionen sei Wikipedia zu transparent, weshalb viele Leute aus Angst vor Nachforschungen durch Arbeitgeber oder andere ihre Beiträge nur anonym eintragen; bei den Entscheidungsfindungen und der internen Organisation von Wikipedia hingegen zuwenig transparent, da die Entscheidungsfindungen schwer durchschaubar seien.
  4. Wikipedia müsse mehr Fachwissenschaftler für die Mitarbeit gewinnen. Dafür ist im Juni 2006 eigens eine Konferenz in Tübingen anberaumt worden.
  5. Wikipedia müsse aktiver werden, um die eigenen Ansprüche und Ziele in der Öffentlichkeit zu vertreten, die durch zahlreiche Meldungen zu Falscheinträgen (wie bei Bertrand Meyer oder John Seigenthaler) einen einseitigen Eindruck von Wikipedia erhalten habe. Dazu kommen noch Schwierigkeiten mit Zensurmassnahmen (etwa in China) oder einstweiligen Verfügungen (wie kürzlich im Fall „Tron“).

Im Wesentlichen laufen die Ratschläge auf eine Professionalisierung des Projekts hinaus, mit dem unausgesprochenen Anspruch, die Qualität der Enzyklopädie zu sichern. Ich fürchte jedoch, dass die Professionalisierung dem Projekt den Schwung nehmen wird, den es so auszeichnet. Eine Professionalisierung bedeutet mehr Geld, dies führt zu steigenden Erwartungen der Geldgeber und schliesslich zu direkten oder indirekten Ausschluss-Prozessen von Mitwirkenden. Ob Wikipedia dann noch funktionieren kann oder zur Episode wird (wie das Vorgänger-Projekt Nupedia), wird die Zukunft weisen.
Problematisch finde ich die (vom Aspekten des Datenschutzes her verständliche) Forderung nach weniger Transparenz. Gerade die Offenlegung der Entwicklung der Artikel durch verschiedene Versionen der jeweils Verantwortlichen trägt wesentlich zur Vertrauensbildung und Qualitätssicherung bei. Wenn nur Eingeweihte (Fachredaktoren) diese Versionen einsehen dürfen, dann bewegt sich Wikipedia in konventionelle Richtung der Wissens- und Orientierungsgenerierung auf dem Netz. Und da ist die Konkurrenz wohl besser.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis

HOK: Lesen – Quellen IV: Plagiate

Die Copy/Paste-Mentalität greift in den Bildungsinstitutionen dermassen um sich, dass Dozenten sich angehalten sehen, ziemlich rigide auf gängige Zitierpraxis in wissenschaftlichen Publikationen hinzuweisen (ein Problem, dass auch Wikipedia plagt…). Die Studierenden fügen nach einer erfolgreichen Internet-Recherche in ihren Arbeiten oft ganze Abschnitte ein, ganz im Sinne von „besser hätte ich das auch nicht formulieren können“. Plagiate sind zwar vergleichsweise einfach aufzudecken: Sätze, die in Stil, Wortwahl und Tonfall stutzig machen, können in Google gezielt gesucht werden – oft wird dann das Original gefunden. Ein Angebot der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin bietet einen kleinen Online-Kurs, mit dem man seine eigene „Plagiat-Auffind-Kompetenz“ beurteilen kann.